Marc Andreessen, Bild: Andreessen Horowitz

Demnach habe sich die Software-Welt bereits die Musikbranche und das Verlagswesen vorgeknöpft, sie knabbere an der Welt der Unterhaltungsindustrie und habe Ladengeschäfte und -ketten verschlungen. Und Software habe noch viel Appetit. Kein Bereich sei vor ihr sicher – und genau deshalb sieht Andreessen so viele Möglichkeiten für neue Firmen.

Sein Optimismus wird durch die zunehmend Verbreitung von Breitbandanschlüssen, den Trend zum Cloud Computing und vor allem die Smartphone-Revolution noch bestärkt. In den neunziger Jahren hätte das Internet zu verrückten Vorhersagen geführt, deren Realisierung schlichtweg noch nicht möglich war. Jetzt ließen sie sich in die Tat umsetzen. Gegenüber der silicon.de-Schwesterpublikation CNET hat Andreessen seine Erwartungen für 2012 im Interview näher ausgeführt.

CNET: Was ist 2012 bei Smartphones zu erwarten?

Andreessen: Ich denke, 2012 wird das Jahr, in dem Verbraucher überall auf der Welt anfangen, ‘nein’ zu Feature-Phones und ‘ja’ zu Smartphones zu sagen. Feature Phones werden in den Industrieländern verschwinden und im Verlauf der nächsten fünf Jahre ereilt sie dasselbe Schicksal auch in den weniger industrialisierten Ländern.

CNET: Welche Auswirkungen hat das?

Andreessen: Sehr große. Denn Smartphones sind eine der Schlüsseltechnologien, die es ermöglichen, dass sich die Softwarebranche die Welt in großem Umfang unterwirft. Denn dadurch bekommt wirklich jeder einen Computer in die Hand – im wahrsten Sinne des Wortes.

CNET: Was ist anders als beim PC?

Andreessen: Der Großteil der Menschen hat immer noch keinen PC zur Verfügung. In drei bis fünf Jahren wird der Großteil der Menschen jedoch ein Smartphone besitzen. Und wenn Sie ein Smartphone haben, dann kann ich in jeder Branche und Kategorie ein Geschäftsmodell finden, mit dem ich Sie als Kunden erreichen kann – unabhängig davon, wo in der Welt Sie sich befinden. Das bringt von Anfang an enorm hohe potenzielle Kundenzahlen, die bis in Milliardenhöhe gehen.

CNET: Profitieren davon in erster Linie die etablierten Marktteilnehmer oder schafft das vor allem Möglichkeiten für neue Unternehmen?

Andreessen: Sowohl als auch. Unabhängig davon, ob man Amazon, Facebook, Google oder ein Start-up ist: Zwei Milliarden Smartphone-Besitzer heute in den entwickelten Ländern und zwischen fünf und sechs Milliarden in drei bis fünf Jahren in der ganzen Welt sind für jeden davon ein riesiger potenzieller Markt.

Die neue Situation ermöglicht aber auch neue Geschäftsmodelle. Ein Trend, der sich 2011 durchgesetzt hat, war der Aufstieg der vertikal agierenden Firmen. Er war im E-Commerce besonders deutlich zu spüren. Ich habe den Aufstieg einer ganzen Gruppe von E-Commerce-“Sparten-Killern” in Branchen beobachtet, die vor fünf oder zehn Jahren nicht genug Potenzial für schnell wachsende Firmen geboten haben, einfach weil der ansprechbare Markt nicht groß genug war.

CNET: An welche E-Commerce-Anbieter denken Sie dabei?

Andreessen: Wir haben gerade erst in Fab.com investiert, das mit Riesensprüngen wächst und auch Airbnb gehört dazu [Anmerkung der Redaktion: Dort ist Andreessen Horowitz einer der Investoren]. Airbnb wächst vertikal: Dabei frisst Software den Immobilen- und Inneneinrichtungsmarkt auf. Eine weitere, sehr aufregende Firma, in die wir aber nicht investiert haben, nennt sich Warby Parker. Es ist ein E-Tailer für Brillen. Da heißt es: Software schluckt Linsenschleifer.

Und die Liste ließe sich in zahlreichen Branchen weiterführen. Grund dafür ist die Anzahl der Verbraucher, die A einen PC haben, B über einen Internetzugang verfügen und nun C ein Smartphones besitzen. Ich gehe davon aus, dass sich die vertikale Spezialisierung fortsetzt und Killer-Softwarefirmen, die sich am Silicon-Valley-Stil orientieren, 2012 und 2013 in Branchen und Bereiche vordringen werden, in denen sie vor fünf oder sogar noch vor drei Jahren nicht wachstumsfähig gewesen wären.

CNET: Gilt das nur im E-Commerce?

Andreessen: E-Commerce war 2011 das Frühbeet der vertikalen Personalisierung. Aber vertikale Personalisierung in großem Stil dringt 2012 auch in andere Bereiche vor. Ein Bereich könnte Content sein, ein anderer neue Arten von Service Providern.

CNET: Einige davon gibt es schon …

Andreessen: Einer von denen, an dem wir nicht beteiligt sind, und der mir richtig gut gefällt ist Uber. Bei Uber frisst Software das Taxigewerbe auf. Es ist nahezu ausschließlich eine auf Smartphones basierende Anwendung, mit der man sich Autos kommen lassen kann. Das ist eine umwerfende Erfahrung: Man sieht auf der Karte auf dem Smartphone, wie sich das Auto dem eigenen Standort nähert. Das ist wahrhaft Smartphone-angepasst und es wird bald alle möglichen ähnlichen Dinge geben. Sehr spezifische Services, wie Zaarly für Verkäufe oder Taskrabbit für kleine Dienstleistungen, bieten eine Art verteilter, mobiler Arbeiterschaft, die bei Bedarf via Smartphone in Anspruch genommen werden kann.

Diese Services passen verschiedene Aspekte des Wirtschaftslebens an vertikale oder nach Kategorien ausgerichtete Nischen an und machen sie mittels Smartphone nutzbar. Wobei im Hintergrund natürlich richtig leistungsfähige Netzwerke mit Backend auf Basis von Cloud Computing stehen. Man sieht, dass diese Schablone gerade von einer Vielzahl von Firmen immer und immer wieder angewendet wird.

CNET: Muss man also vor 2012 Angst haben?

Andreessen: Ich glaube 2012 geht als das Jahr in die Geschichte ein, indem die Ladengeschäfte spüren, dass sie wirklich unter Druck geraten. Und ich sage das nicht, weil ich Geschäfte nicht mag. Zu einigen von ihnen gehe ich sehr gerne. Aber der wirtschaftliche Druck wird in dem Maße größer, wie E-Commerce bessere Wachstumsbedingungen vorfindet und sich diese “Killer-Firmen” in den wichtigen vertikalen Märkten ausbreiten. Wenn mir ein Einkaufszentrum, Ladengeschäfte in der Innenstadt oder eine Elektronikfachmarktkette gehörten, würde ich mir Sorgen machen. Meiner Ansicht nach wird zunächst bei Bekleidung und Elektronik der Druck hoch sein. Bei Möbeln und Inneneinrichtung wird es weitergehen.

In diesen Bereichen wird es immer schwieriger werden, das Retail-Store-Modell aufrecht zu erhalten. Denn dieses Modell hat dadurch ein grundsätzliches Problem, dass jeder Laden seinen gesamten Warenvorrat vorhalten muss und somit auch sein eigenes Lagerhaus ist. Das ist ein wirtschaftlicher Klotz am Bein, der zum Beispiel zum Aus für Borders beigetragen hat.

Retail muss mit sehr geringen Margen auskommen. Schnappt sich E-Commerce auch nur 5, 10 oder 15 Prozent des Kuchens, wird es schon sehr schwierig, als Retailer im Geschäft erfolgreich zu bleiben. Daher denke ich, 2012 wird das Jahr, indem es wirklich schmerzhaft wird.

CNET: Spielt das nicht vor allem den etablierten E-Commerce-Anbietern in die Hand?

Andreessen: Klar, Amazon wird es gut gehen – und jedem anderen mit einem großen E-Commerce-Auftritt auch. Aber die neuen E-Commerce-Firmen in den vertikalen Märkten bieten den Kunden eine ganz neue und andere Erfahrung: Einkaufen wird da eher zur Unterhaltung. Fab hat zum Beispiel interessantere Produkte und präsentiert sie auf interessantere Art mit viel tiefergehender Integration ins Social Web: Bei Fab waren rund 25 Prozent der Verkäufe am Black Friday das Result von Facebook-Referenzen. Da ist viel Spaß und Unterhaltung beim Einkaufsprozess mit dabei – eine Dimension, in der die erste Generation der E-Tailer nicht besonders gut war.

CNET: Zu denen zum Beispiel Amazon gehört?

Andreessen: Ich sage gerne, dass die erste Generation der E-Tailer nur für Nerds so richtig gut war. Ich liebe Amazon. Für mich ist es der größte Megamarkt aller Zeiten. Es ist einfach toll und ich liebe es, die Gänge auf und ab zu schlendern und Dinge zu entdecken: Wenn ich genug Suchanfragen stelle, kann ich tatsächlich alles finden.

Die neue Generation an E-Tailern spricht eher normale Leute an, solche, die gerne ins Einkaufszentrum gehen, mit ihren Freunden Spaß haben, Klamotten an- und ausprobieren wollen, oder solche, die die mit einer vollen Tasche nach Hause kommen und vor ihren Mitbewohnern angeben wollen, was sie für Schnäppchen gemacht haben. Viele der Start-ups arbeiten nicht nur sehr wirtschaftlich, sondern sind schnell erfolgreich, weil sie diese neue Erfahrung bieten.

CNET: Können Start-ups nicht auch den Etablierten helfen, besser zu werden?

Andreessen: Doch, auch den alteingesessenen Firmen mittels Software zu helfen, in der neuen Welt besser zurechtzukommen, ist eine große Chance. Als ein Beispiel haben wir bei Ebay [wo Andreessen im Aufsichtsrat ist], eine Firma namens Milo gekauft. Die hat einen Mitbewerber der sich Shopkick nennt. Beide stellen den Warenvorrat in den Regalen der Retailer als Teil des E-Commerce-Erlebnisses dar. Solche Software wird für die Retailketten im Kampf gegen die Etailer unglaublich hilfreich sein, da sie ihnen das Potenzial der lokalen Warenbestände erschließt.

Eine weitere Kategorie ist durch Groupon und Foursquare prominent vertreten [in beide hat Andreessen Horowitz investiert] sowie durch eine ganz neue Generation lokaler E-Commerce-Plattformen, die die ungeheure Anzahl der Firmen ins Internet bringen, die heute dort noch keine Geschäfte machen: Egal ob das ein Restaurant oder ein Friseur, eine Kinderhort, ein Yoga-Center, ein Rasenpfleger oder sonst etwas in der Richtung ist. Es gibt so viele, die noch nicht sinnvoll im Web vertreten sind – auch wenn es das schon 15 Jahre gibt.

Bei Google zu werben hilft ihnen nicht, da es unerheblich ist, ob die Leute auf ihre Website kommen: Daraus entwickelt sich für sie kein Geschäft. Es muss also eine ganze Reihe solcher neuer Firmen wie Groupon und Foursquare geben, die das Potenzial erschließen, dass die Firmen haben, die heute noch nicht online sind.

CNET: Das wäre dann wenigstens etwas, was Groupon erreicht hat …

Andreessen: Ich hielt die Kritik an Groupon immer für ungerechtfertigt. Die Leute haben unterschätzt, was Groupon geschafft hat: Das Unternehmen hat eine Möglichkeit geboten, dass kleine Firmen, die nicht online sind, online werben und bei Bedarf zusätzliche Kundschaft ansprechen können. Das ist schon beachtlich.

Foursquare ist eine Revolution, für die Art und Weise, wie wir uns Städte erschließen und mit kleinen Firmen um uns herum in Kontakt treten. Zunächst funktioniert das mittels Informationen, zunehmend aber über Coupons und Angebote. Wieder geht es darum, Neukunden anzusprechen. Vergleichbare Anbieter wird es 2012 mehr geben – und darüber hinaus viele neuartige Ideen.

CNET: Womit wir wieder bei den Smartphones wären.

Andreessen: Ja, Foursquare war unmöglich, bevor es Smartphones gab. Es ließ sich einfach nicht umsetzen. Es gibt aber noch eine andere Seite: Einmal braucht natürlich der User eine App für Foursquare. Aber es wird auch eine App für Händler und Anbieter geben. Firmen vor Ort, etwa Restaurantbesitzer, werden über eine Smartphone bei Bedarf auf Kunden zugehen können. Egal ob die von Groupon oder Foursquare kommt, jede dieser Firmen könnte das anbieten. Bald werden viele Kleinunternehmer anfangen, ihr Geschäft von einem Smartphone aus zu betreiben.

Silicon-Redaktion

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