CeBIT 2010: Glamour und Kartoffelacker

Eigentlich verdient es die weltgrößte ITK-Messe an dieser Stelle ignoriert zu werden. Schließlich berichteten von Bravo (3D-Spiele) bis zu den Tagesthemen (Datenschutz) Horden von Kollegen über die aktuellen Trends und Produkte. Und auch bei silicon.de kann man in tausende CeBIT-Meldungen eintauchen, wie Dagobert Duck in seinen Taler-Reichtum.

Überhaupt Hannover. Die von CeBITianern oft als Hangover erfahrene Stadt versteckt ihre schönen Stellen geschickt in ihrer ziegelrot gesäumten Straßenwüste. Doch Schlösser, Parks und Edellokale genießen Messeteilnehmer bestenfalls bei Abendterminen – falls ihnen übereifrige Marketiers nicht den Spaß daran verderben. Ansonsten wird bei Tisch ungern über IT gesprochen; eher schon über das Versagen der deutschen Fußballmannschaft gegen Argentinien (0:1) oder darüber, wer am Nockerberg am besten derbleckt wurde (für Nicht-Bayern: Am Münchner Nockherberg findet zum Fastenbeginn bei viel Bier die Mutter aller bayerischen Politsatiren statt, Bundespolitik inklusive, IT exklusive). Besonders gern erinnert sich der Autor an ein Shakespeare-Potpourri zwischen den Gourmet-feinen Gängen eines Ploenzke-Dinners, das für besonders gepflegte Konversation sorgte.

Seinen eigentlichen Charme entfaltet die Stadt jedoch eher in Kneipen bei Currywurst und vor allem Bratkartoffeln. Bei Plümecke (Voßstraße) etwa entschwebt diese Wurst jedem Prolo-Vorurteil. Doch so lokal servieren uns die jährlich einfallenden IT-Globalisten und ihre Agenturen die Stadt nur selten. Zum Besuch von Beckmann, Schwitters und Co. im Sprengel-Museum etwa, musste ich einen Messevormittag schwänzen – und bin immer noch stolz darauf. Dennoch: Um durch Hannover zu streunen, ist die Stadt im März einfach zu ungemütlich. Selbst auf dem Messegelände, wo man sich von Halle zu Halle retten kann, büßen die CeBIT-typischen Wetterkapriolen nach 24 Messejahren etwas von ihren Reiz ein – obwohl der Hagel heuer, das war schon was.

Und muss man wirklich der Informations- und Kommunikationstechnik wegen ins Zentrum für Büroautomation, Informationstechnologie und Telekommunikation, vulgo CeBIT, pilgern? Wollte man tatsächlich erfahren, dass sich die SAP-Vorstände zum abknutschen gern haben? Lohnt es tatsächlich, den frischgekürten IT-Buhmann Google aus der Nähe zu beäugen, oder das schmale Lächeln der erleichterten Microsoft-Manager, die den Schwarzen Peter zwar abgeben durften – dafür aber in die Cloud strafverschickt werden? Dass diese Cloud – im Vorfeld immer und immer wieder angekündigt – den klaren Blick vermutlich auf Jahre hinaus und nicht nur in Hannover verschleiern wird, macht den an die Leine (dortiges Gewässer) gelegten Ort auch nicht attraktiver. Dagegen klang das vor zwei Jahren ausgegebene Green-IT-Motto wenigstens nach der Illusion von einem Picknick im Freien. Dieses Mal vermochten nicht einmal die Musiker in der Soundhalle das Publikum aufzumuntern.

Hoppla, jetzt bin ich doch auf dem CeBIT-Gelände gelandet. Dabei gab es diese Woche woanders deutlich wichtigere Ereignisse. Fußball und Politsatire wurden schon erwähnt. Businessträchtiger für CeBITs Anzugträger klangen Meldungen über das Ringen gegen die für den Euro und deren Großbesitzer gefährliche Griechenland-Pleite, aber auch die verwirrenden Meldungen, wonach der Weltwirtschaftslokomotive und Offshore-Hafen China der Dampf ausgeht und dort die Löhne steigen. Was das mit der IT zu tun hat? Der ITK-Branchenverband Bitkom erklärt uns das sicher, ist aber momentan noch damit beschäftigt, die direkten CeBIT-Ereignisse in das wirtschaftlich richtige Licht zu rücken.

Was den Stand der hiesigen Industrie betrifft, hätte man diese Woche in Nürnberg (bei schönem Wetter und optimistischer Stimmung) auf der Embedded World mehr über die IT-Wertschöpfung erfahren können als auf der CeBIT – wahlweise auch auf dem Genfer Automobilsalon. Die vermutlich wichtigste IT-Meldung der Woche kam auch nicht aus Hannover, sondern vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Dort kippten die Richter die aktuelle Regelung zur Datenvorratsspeicherung und versahen eine mögliche Neuregelung mit klaren Vorgaben. Die Entscheidung wurde übrigens in Hannover vom Bitkom eilig abgenickt, während die gelb-schwarze Koalition streitet.