“Vorratsdaten sind nicht erforderlich”

Am 28. Januar ist Europäischer Datenschutztag. Der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz, Dr. Thomas Petri, wies aus diesem Anlass darauf hin, dass die Erforderlichkeit einer sechsmonatigen Vorratsdatenspeicherung “nach wie vor nicht nachgewiesen” sei. Dies zeigt auch ein Gutachten für das Bundesjustizministerium.

 Dr. Thomas Petri, Bild: datenschutz-bayern.de
Dr. Thomas Petri, Bild: datenschutz-bayern.de

Petri hatte zur Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder in die Vertretung des Freistaates Bayern beim Bund geladen. Wer die Vorratsdatenspeicherung befürworte, müsse wegen des damit verbundenen grundrechtlichen Eingriffs in die Kommunikationsfreiheit konkret belegen, bei welchen Straftaten welche Daten wie lange und unter welchen technischen Rahmenbedingungen gespeichert werden müssen, um das Ziel einer effektiven Strafverfolgung sicherzustellen, hieß es von den Datenschützern.

“Der Nachweis der Erforderlichkeit ist eine Voraussetzung dafür, dass die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung im Einklang mit Artikel 8 der Europäischen Grundrechtecharta steht”, sagte Petri. “Solange dieser Nachweis nicht erbracht ist, darf es keine Vorratsdatenspeicherung geben.” Mittlerweile setze sich sogar ein interner Bericht der EU-Kommission vom 15. Dezember 2011 kritisch mit der aktuellen EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auseinander.

Unterdessen wurde eine Studie des Freiburger Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht bekannt, die das Bundesjustizministerium in Auftrag gegeben hat (PDF). Demnach hat die Vorratsdatenspeicherung nicht zu höheren Aufklärungsquoten bei Ermittlungen geführt. Für die Studie werteten die Autoren neben eigenen Quellen eine umfangreiche Datensammlung aus – etwa die Aufklärungsquoten von 1987 bis 2010 sowie Informationen aus Ländern, in denen eine Zeit lang Daten auf Vorrat gespeichert wurden.

Die Statistik liefert keine Belege dafür, dass das Aus der Vorratsdatenspeicherung im März 2010 dazu geführt hat, dass weniger Straftaten verhindert oder aufgeklärt worden sind. Viele Warnungen seien politische Rhetorik, wie die Süddeutschen Zeitung (SZ) festhält. Es fehlten etwa Hinweise darauf, dass auf Vorrat gespeicherte Daten zwischen 2008 und 2010 dabei geholfen hätten, einen islamistischen Terroranschlag zu verhindern.

Andererseits fallen manche Ermittlungsansätze weg, wie Vertreter von Polizei und Justiz in Interviews mit den Autoren der Studie beklagen. Das führe zu “großem Frust”. Die gravierendste Schutzlücke besteht demnach bei der Internet- und Computer-Kriminalität. Ein Experte aus Baden-Württemberg verglich Webnutzer mit Autofahrern ohne Kfz-Kennzeichen. Der Studie zufolge geben auch deliktspezifische Aufklärungsquoten keine Hinweise dafür, dass es bei der Computer-Kriminalität aufgrund der Vorratsdatenspeicherung eine höhere Aufklärungsrate gegeben hat.

“Die Studie zeigt, dass die Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung nicht empirisch belegt, sondern nur ein Gefühl der Praktiker ist”, sagte Justizstaatssekretär Max Stadler (FDP). Ermittler “verweisen auf Einzelfälle, die sie dann als typisch bezeichnen”. Solche Behauptungen seien weder belegt noch belegbar. Nach Angaben von Stadler sieht sich auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) durch die Studie bestätigt, weiter nach Alternativen für die anlasslose Vorratsdatenspeicherung zu suchen. Sie halte nach wie vor das sogenannte Quick-Freeze-Verfahren für zielführend, bei dem Daten nur aus konkretem Anlass gespeichert werden.

Die Ergebnisse decken sich im Wesentlichen mit einem Forschungsbericht (PDF) des Freiburger Max-Planck-Instituts vom Februar 2008. Demnach hätte die Verfolgung von Straftaten im Untersuchungszeitraum zwischen 2003 und 2004 nur in einem Bruchteil der Fälle durch die Speicherung von Verbindungsdaten verbessert werden können. Vielfach sei die Polizei mit der Datenmenge schlicht überfordert.

Die Studie basierte auf der Analyse von 467 Strafakten aus dem Jahr 2005 in vier Bundesländern, einer schriftlichen Befragung von 874 Staatsanwälten, mündlichen Interviews mit Richtern, Staatsanwälten, Polizisten, Strafverteidigern und Mitarbeitern von TK-Unternehmen sowie der Analyse anonymisierter Datensätze von zwei Unternehmen aus den Bereichen Mobil- und Festnetz.

Die Ergebnisse: Nur in 18 Prozent der Fälle fanden die Forscher in Verbindungsdaten Hinweise auf Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Ferner ergab die Analyse der verhängten Sanktionen, dass ein Großteil der Verfahren mit Verbindungsdatenabfrage allenfalls der “mittelschweren Kriminalität” zuzuordnen war. Dabei kam es überhaupt nur in jedem fünften Fall zu einer Verurteilung und nur 16 Prozent der Verurteilten erhielten eine Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren.

Hans-Jörg Albrecht, Bild: MPICC
Hans-Jörg Albrecht,
Bild: MPICC

“Diese Ergebnisse basieren noch auf der Rechtslage, wie sie sich in Deutschland vor Einführung der Vorratsdatenspeicherung dargestellt hat”, sagte Hans-Jörg Albrecht, Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht. Insoweit orientierte sich die Praxis maßgeblich an den verfügbaren Datenbeständen der TK-Dienstleister, die die Verbindungsdaten für die Rechnungsstellung aufhoben. In der Regel seien diese Daten damit nur über einen Zeitraum von höchstens drei Monaten verfügbar gewesen. “Daher waren auch aussagefähige Verbindungsdaten bei Kunden mit Prepaid-Karten und Nutzern von Flatrates bislang praktisch nicht verfügbar”, so der Forscher.

Albrecht hatte im Februar 2011 auf einen ganz anderen Aspekt hingewiesen: Demnach findet die aktuelle Debatte “ohne eine vernünftige Datenbasis” statt. “An sich hätte die EU-Kommission im September 2010 eine Evaluation vorlegen müssen, wie häufig bei Ermittlungen auf Vorratsdaten zurückgegriffen wurde”, so der Kriminologe. “Die liegt aber nicht vor, weil die Mitgliedsländer die Daten nicht haben. Die EU hat die Diskussionen unterschätzt, die dieses Thema aufwirft”, so Albrecht.

Das Quick-Freeze-Verfahren hält Albrecht für praktikabel. “Das ist ein Modell, das in einigen Ländern funktioniert”, stellte er mit Blick auf die USA fest, wo es schon seit geraumer Zeit praktiziert wird. Weil die Ermittler nach amerikanischem Recht die Genehmigung durch einen Richter nicht vorab, sondern im Nachhinein einholen dürften, biete sich ihnen damit die Möglichkeit schnellen Zugriffs. “Das ist eine Vorgehensweise, die als effizient betrachtet wird.”

Ein Vorteil dieser Methode sei, dass Datenschutzprobleme in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht anfielen. Denn während bei der Vorratsdatenspeicherung im Sinne der EU die Telekommunikationsdaten aller Bürger gespeichert werden und somit jeder Bürger theoretisch wie ein Krimineller behandelt werde, sehe das Quick-Freeze-Verfahren eine gezielte Erhebung von Daten über einen bestimmten Zeitraum vor und sei aus Sicht ihrer Befürworter “auf das notwendige Maß begrenzt”.

Auch träten bei dieser Methode nicht die Sicherheitsprobleme auf, die das umfassende Speichern aller TK-Daten mit sich gebracht hätten – und die letztlich auch dazu beigetragen hatten, dass die Karlsruher Richter das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung kippten. “Das Speichern solch ungeheurer Datenmengen birgt ein nicht zu unterschätzendes Missbrauchspotenzial”, so Albrecht.