Mohit Joshi

ist President Head, Banking, Financial Services & Insurance (BFSI), Healthcare and Life Sciences Head, Infosys Brazil and Infosys Mexico.

Auch in einer Welt des KI-gesteuerten Wertpapier-Handels bleibt der Mensch wichtig

Das überfüllte und hektische Börsenparkett, das im letzten Jahrhundert noch ein fester Bestandteil der Kapitalmärkte war, ist heute größtenteils verschwunden. Ersetzt wurde es durch Maschinen, die in Sekundenbruchteilen Entscheidungen treffen können.

In den USA treffen Berichten zufolge Maschinen bei 80 Prozent aller Aktiengeschäfte die Entscheidungen. Diese fast vollständige Abhängigkeit von Maschinen kann die Tür für neue Risiken öffnen.

Eine starke Abhängigkeit von Computern ist im Finanzsektor nicht neu. Banken und Finanzinstitute setzen seit Jahrzehnten Technologien ein. Sie waren eine der ersten Branchen, die Automatisierung nutzten, um manuelle Prozesse zu beschleunigen und gleichzeitig Kosten zu senken. Hochvolumige Trading-Technologien ermöglichen es heute, den Menschen im Investitionsprozess zu umgehen. Diese Praxis wird oft als Algo-Trading bezeichnet, ein Hinweis auf die mathematischen Algorithmen, die diese Entscheidungen beeinflussen. Algo-Trading bietet Börsenmaklern einen Wettbewerbsvorteil, während Nutzer von den direkten Gewinnmöglichkeiten profitieren. Der Einsatz von Maschinen, um Käufe zu tätigen, die auf von Menschen zugelassenen Algorithmen basieren, ist theoretisch vollkommen sinnvoll. Allerdings zeigt die Geschichte des Algo-Trading, dass ein Einsatz ohne menschliche Kontrolle mit Vorsicht zu genießen ist.

Das Risiko: Instabilität

Der berüchtigte Flash-Crash von 2010 war ein Billionen-Dollar-Börsensturz, der in wenigen Minuten stattfand. Es ist ein Paradebeispiel für die mit dem Algo-Handel verbundenen Risiken. Der Maschinenhandel war zwar nicht unbedingt die Ursache für die Verkäufe, aber er hat die Krise unterstützt und begünstigt. Während eines langsameren Aktienhandels dachten die Maschinen, dass das beste Angebot für einige Aktien null US-Dollar wäre. Manche Gebote lagen bei 0,01 US-Dollar – mit verheerenden Folgen. Die Aktienkurse einiger Unternehmen sanken um 37 Prozent.

(Bild: Shutterstock.com/chombosan)

Es steht außer Frage, dass das Algo-Trading einen Platz in der Weltwirtschaft hat. Allerdings gibt es sicherlich auch Risiken, wenn dies komplett ohne menschliche Kontrolle geschieht und die Zügel eine künstliche Intelligenz (KI) übernimmt.

Von Algorithmen zur KI

Es ist wichtig, die Unterschiede zwischen Algo-Handel und KI-Handel zu verstehen. Im Algo-Handel basieren die Algorithmen auf vorgegebenen Daten und Beziehungen. Mit anderen Worten: Ein bekannter Satz von Bedingungen (das heißt: Datenpunkte) löst spezifische Aktionen aus. Dazu gehört der Kauf und Verkauf von Aktien ebenso wie Leerkäufe oder anderen Aktionen. Bei KI-Trading analysieren Computer große Datenmengen und bestimmen darauf basierend, welche Bedingungen bestimmte Aktionen auslösen sollen. Dies geschieht automatisch, also ohne ein menschliches Eingreifen.

Wie bei den meisten KI-basierten Systemen könnten dazu möglicherweise nicht nur Finanzdaten, sondern auch die Art der Medienberichterstattung, Social Media Chatter und einige weitere Faktoren gehören, die völlig irrelevant erscheinen mögen. So enthält die KI-basierte Prüfung der Kreditwürdigkeit die Anzahl der Smartphone-Fotos, die mit der vorderen Kamera oder der auf der Rückseite befindlichen aufgenommen wurden. Viele Manager, Aufsichtsbehörden und Investoren verstehen daher die Funktionsweise komplexer KI-Algorithmen nicht. Selbst Entwickler können möglicherweise nicht erklären, wie ein Algorithmus ein bestimmtes Ergebnis erhält.

Trotz dieses Problems, die Funktion von Algorithmen nicht vollständig zu interpretieren, sind Anleger immer noch von ihnen begeistert. Wie beim Algo-Trading, ist KI noch nicht das wichtigste Instrument für Investitionen.

Maschinen werden bleiben

Aber: Algo- und KI-Trading haben den Finanzsektor verändert und werden weiterhin an Bedeutung gewinnen. Genau wie die erfolgreichen Programme, die Menschen entwickelt haben, um beim Schach und Poker zu gewinnen, wird der KI-Aktienhandel mit der Zeit wahrscheinlich erfolgreicher und zielsicherer werden. Daher ist es unerlässlich, dass Finanzunternehmen Trainingsprogramme einrichten, und ihre Mitarbeiter so schulen, mit KI zu arbeiten.

Einer aktuellen Studie zufolge gibt es aber auch gute Nachrichten: Mehr als 70 Prozent aller Mitarbeiter in US-Unternehmen haben eine positive Einstellung hinsichtlich Technologien am Arbeitsplatz, die KI einsetzen. Diese Angestellten sollten entsprechende Trainings und Schulungen erhalten, die sie benötigen, um KI einsetzen zu können – bei Trading-Applikationen wie auch bei anderen Anwendungen. Damit sind sie in der Lage, produktiver zu arbeiten. Dies heißt nicht unbedingt, dass sie lernen, selbst Algorithmen zu programmieren. Vielmehr bedeutet es, dass sie über die wichtigsten Data Science-Fähigkeiten (Klassifikation, Clustering, Regressionsanalyse und -optimierung) verfügen und sie für den geschäftlichen und finanziellen Nutzen einsetzen können. Damit sind sie in der Lage, effektiv mit den IT-Teams zusammenzuarbeiten und entsprechende Geschäftsvorteile zu realisieren.

In dieser neuen Ära hält KI nun Einzug. Es ist daher an der Zeit, zu überlegen, wie Menschen wieder in den Trading-Prozess einbezogen werden können, um eine höhere Sicherheit zu bieten. Angesichts des bereits komplizierten Prozesses im Umgang mit Regulierungsbehörden, Investoren und Entscheidungsträgern fehlt den meisten Managern und Entscheidungsträgern ein tieferes Wissen über KI, um die Technologie in den Handelsprozess zu integrieren. Am wichtigsten ist, dass menschliche Experten vor Ort mit KI-gestützten Handelstechnologien Verluste minimieren könnten, wie sie bisher beispielsweise beim Flash Crash auftraten. Das bedeutet, dass Menschen lernen sollten, sowohl intelligent mit der KI zusammenzuarbeiten als auch, sie in Richtung einer Zukunft des Tradings zu führen.



Mohit Joshi ist President von Infosys Ltd und leitet die Bereiche Banking, Financial Services & Insurance (BFSI), Healthcare und Life Sciences. Darüber hinaus fallen die unternehmensweiten Sales Operations und Reporting-Prozesse in seinen Verantwortungsbereich sowie das Management von Großprojekten und der Ausbau der wichtigsten Kunden des Unternehmens. Mohit Joshi hat in seiner Zeit bei Infosys unter anderem in den USA, Indien, Mexiko und Europa gearbeitet. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit den Schnittstellen von Financial Services und Technologie und wurde darüber hinaus bei dem World Economic Forum 2019 in Davos als Young Global Leader (YGL) ausgezeichnet.