Wir schreiben das Jahr 30 nach ENIACs Einschaltung. Die ganze Welt wird von in dunkelblauen Maßanzügen gekleideten Vertriebsbeauftragten beherrscht.
Die ganze Welt? In einem kleinen badischen Dorf regt sich Widerstand. Dort ist eine Handvoll Anwendungsprogrammierer in den Besitz einer Preisliste gelangt, die IBM im Zuge des Antitrust-Verfahrens der Europäischen Gemeinschaft veröffentlichen musste. Darin steht, welche Honorare IBM ihren /370-Kunden für Support und Programmierung in Rechnung stellt. Die fünf IBMer rechnen sich schnell aus, wie hoch die Marge ist, und beschließen Ex-IBMer zu werden. Ihr Motto für den Start in die Selbständigkeit: Selber Anwendungen Programmieren – kurz: SAP.
So weiß es die Legende. Der Rest ist bekannt. Aus der Absetzbewegung wurde die größte europäische Absatzmaschine für Anwendungslösungen, die sich in den späten achtziger Jahren R3stete, in diesem Terrain die US-Softwareschmieden vom Schlager der Management Science America (MSA), der Lawson-Brüder oder System Software Associates (SSA) anzugreifen. Auch IBMs PPS-System COPICS wurde nach und nach aus den Meisterbüros verdrängt. Und mit R3 kam auch der Erfolg im Mittelstand – unterstützt durch zahllose Midrange-Softwarehäuser, die ihre eigene Kundenbasis als Lehen in das Reich (R3ch) überführten. So wuchs zusammen, was alleine nicht überlebensfähig schien.
Wenn SAP heute, 40 Jahre nach ihrer Gründung, als europäische Erfolgsstory gefeiert wird, dann wird oftmals ausgeblendet, dass für SAP der globale Erfolg die Aufgabe der lokalen Identität zum Preis hat. Das ist im Prinzip nichts Verwerfliches, jedenfalls nicht für Europäer, die – anders als Nordamerikaner, Japaner, Inder oder Chinesen – schnell und bereitwillig Weltbürger-Gewohnheiten annehmen. Mit einer amerikanisch-europäischen Doppelspitze, die Entwicklung und Support zunehmend nach Amerika und Asien verlagert, ist die SAP von heute mit der Walldorfer Softwareschmiede des letzten Jahrhunderts kaum noch zu vergleichen.
Und dennoch, wer das Walldorfer Industriegebiet durchfährt, erhält einen Eindruck, welches Momentum aus der mutigen, ja visionären unternehmerischen Entscheidung entstanden ist, Software künftig nicht als Feature der Großrechner zu konzipieren, sondern als eigenständiges Produkt, das nicht nur einem Standard folgt, sondern weltweit einen Standard über Best Practices und Buchhaltungspraktiken setzt. Zwischen dem Gelände der darbenden Heidelberger Druckmaschinen und den rund zwei Dutzend Repräsentationsbauten der SAP ducken sich ein paar Metallverarbeitungsbetriebe, die dem baden-württembergischen Werbeslogan (“Wir können alles, außer Hochdeutsch”) Modell gestanden haben könnten. SAP ragt heraus aus der deutschen Unternehmensgeschichte – und in Walldorf, dem “globadischen Dorf”, kann man das physisch erfahren.
SAP ist ohne Frage in der Champions League der IT-Anbieter. Aber hier muss sich SAP für die Zukunft neu deuten: “Service Around the Planet”. Der globale Zugriff umfasst die gesamte informationstechnische Infrastruktur vom Mobilgerät bis zum Cloud-Server, von der Software bis zur Plattform, vom Consulting bis zum Facility Management, vom Mitarbeiter über den Mittelstand bis zum Multi. Rund um SAP bilden sich dazu Allianzen, finden sich neue Big Player.
So sehr sich SAP verändert hat in vierzig Jahren, so sehr ist sie auch sich selbst treu geblieben. SAP lebt immer noch danach, das alte Vorurteil – mächtig, teuer, schwerfällig – zu bestätigen. Der Befreiungsschlag, der mit Business by Design gelingen sollte, wurde im Gegenteil eher zur Bestätigung dieses Status Quo. Weder die Erfolge bei Business Analysis, noch bei InMemory-Datenbanken oder – wie jetzt zu erwarten – bei CRM kommen aus der Walldorfer Keimzelle, sondern von außerhalb. Was die erfolgreiche europäische Software Company derzeit erfolgreich macht, sind Souvenirs aus den USA.
Wenn die Kritiker an Europas Informatikern und Unternehmern beklagen, dass hierzulande keine weltumspannenden Ideen in die Welt und ins Geschäft gesetzt werden, dann wäre SAP derzeit nicht das Gegenbeispiel, sondern der Beweis. Die Erfolge von heute werden mit den Gewinnen von gestern zugekauft.