So war sie, die CeBIT 2016: von allem etwas, aber nichts richtig. Früher war die CeBIT beliebt, heute ist sie beliebig. Silicon.de-Blogger Godelef Kühl lässt die CeBIT noch einmal Revue passieren.
Nein, nicht alles ändert sich. Seit über 20 Jahren kommt der Frühling immer erst, wenn die CeBIT vorbei ist. Auch dieses Jahr hatte ich Spaß an dieser besonderen niedersächsischen Mischung aus Wind und Regen, Schneeflocken und einem Tag Sonnenschein. Und auch auf der Messe das gleiche große Hallo wie seit Jahren. “Oh, Du auch hier?” “Ja! Wo soll ich denn hin im März? Ich kenne keinen schöneren Ort als Hannover im Vorfrühling.” “Und, wie laufen die Geschäfte?” “Super!” Auch diese Antwort ganz egal, ob gerade New-Economy-Krise oder Nachfrageboom – immer gleich. Wenngleich optisch die Verschleißerscheinungen sichtbar waren: Erneut kleinere Stände, leere Hallen, alte Konzepte und bei den Branchenvertretern häufig mehr Bauch und weniger Haare.
Es ist schon wieder fünfzehn Jahre her, dass die Messe ihren Zenit mit damals 830.000 Besuchern und 8.106 Ausstellern erreichte. Dieses Jahr waren es nach offiziellen Zahlen circa 3.300 Aussteller und rund 220.000 Besucher. Warum die Messegesellschaft heute nicht mehr so genau zählen kann, erschließt sich nicht. Aber – und auch das blieb beim Alten – für meinen Branchenboss Rohleder vom Bitkom war es „die beste CeBIT jemals“. Das alles klingt nicht überzeugend für 2017.
Früher war die CeBIT beliebt, heute ist sie beliebig. Viele sagen, das läge an der Digitalisierung. Warum sollten Aussteller an einer Messe teilnehmen, wenn IT-Lösungen doch optimal im Internet abgebildet werden? Ja, warum? Vielleicht, weil Investitionen und Geschäfte von Menschen getroffen werden und es manchem wichtig sein könnte, dass er sein Gegenüber einschätzen kann. Das aber würde voraussetzen, dass ein Entscheider alle wesentlichen Vertreter der Produktgattung auf einer Leitmesse auch findet.
In allen relevanten Kategorien von Enterprise-Software ist das leider nicht mehr der Fall, bei abnehmender Tendenz. Dieses Jahr fehlten nun auch noch Comarch, proalpha und Oxaion. Sage und Oracle kommen schon seit Jahren nicht mehr und bei SAP sah es so aus, als wenn ERP die Vergangenheit ist, die man nur noch beschämt zeigt.
Hier möchte ich die Messegesellschaft kritisieren: Warum nur, versteht es keiner, dass Messebesucher mit einem klaren Focus solche Veranstaltungen besuchen? Beispiel gefällig? Wie viele ERP-Entscheider erwarten die Verbindung zwischen kaufmännischer Software und Drohnen? Wie viele Interessenten für TK-Tarife interessieren sich für E-Roller oder das Hacken eines Tesla?
Das Thema Enterprise-Software ist auf zahlreiche Hallen verteilt und schafft so nur Konfusion. Und das unselige Wirken der Politik kann man an der zunehmenden Zahl der Länderstände erkennen. E-Government meint aber Lösungen für Verwaltungen, nicht Lösungen von Verwaltungen. IT ist eine Basistechnologie und findet sich – der Digitalisierung sei dank – in immer mehr Branchen. So war sie, die CeBIT 2016: Von allem etwas, aber nichts richtig. Da kann die Messegesellschaft nun was draus machen, oder es wie die letzten 15 Jahre lassen.
Und für den ERP-Interessierten? Was bieten wir dem Entscheider an Hilfestellungen in der Transformation zum digitalen Unternehmen? Industrie 4.0? Eher nicht. Meiner Auffassung nach hat die Mehrheit der Aussteller noch gar nicht erkannt, dass wir es nicht mit der ewig gleichen Jagd nach Effizienzgewinnen, sondern mit dem disruptiven Verändern von Prozessen zu tun bekommen. Oder – sie haben es verstanden, können aber noch keine praxisgerechten Szenarien aufzeigen.
Auch dieses Jahr habe ich eine Runde beim Bullshit-Bingo mitgespielt. Bin ich jetzt konservativ, bloß weil ich nicht glaube, dass die Blockchain-Technologie in absehbarer Zeit Finanzbuchhaltungssysteme ersetzt? Oder nicht glaube, dass Bosch und Siemens den deutschen Mittelstand an die Wand drücken?
Verstehen Sie mich jetzt nicht falsch, ich bin auch ein Vertreter dieser Generation. Aber ist es nicht irgendwie komisch, dass ausgerechnet wir ERP-Experten, die wir alle unsere Ursprünge im letzten Jahrtausend hatten, selbstsicher die Zukunft deuten und glauben, dem deutschen Mittelständler als Allheilmittel einfach noch mehr von unserer alten Technologie verordnen zu können?
Nein, diese CeBIT bot kein Frühlingserwachen. Zwischen all der alten, proprietären Technologie fehlten mir die zarten Frühlingssprossen neu angelegter Business-Szenarien, die sich gerne auch in Form neu entwickelter User-Interfaces hätten zeigen können. Keine Interaktion mit Kunden oder Lieferanten, keine mobilen Szenarien, keine Social-ERP-Welten. Bester Beweis dafür: Selbst unsere Branchen-Elefanten Microsoft und SAP zeigten dieses Jahr alles Mögliche, aber kein Marketing-Feuerwerk.
Also Vogel Strauß und nächstes Jahr nochmal schauen? Nein, die Lehre ist eine andere: Bewahre ruhig das Gute, aber konzentriere dich gleichzeitig auf den digitalen Wandel. Welche Kunden- und Lieferantenprozesse kann ich komplett digitalisieren? Welche Prozesse kann ich automatisieren, welche Prozesse kann ich mobilisieren? Die Technologie ist schon da, an der internen Umsetzung hapert es. Das hat der Anwender mit dem Anbieter gemeinsam.