Inspiriert von Google jüngsten Ausblick auf das nächste Android-Update wagt silicon.de-Blogger Gerrit Kolb einen Blick in die Zukunft des Internets. Unternehmen werden sich anstrengen müssen, um nicht von den Nutzern abgehängt zu werden – denn diese werden sich schnell an immer stärker individualisierte Services gewöhnen.
Statische Onlineauftritte sterben aus. Die klassische Internetseite, die einem Besucher immer wieder gleiche, festgelegte Informationen zur Verfügung stellt, hat kaum Überlebenschancen und wird auch durch regelmäßige “News” nicht wertvoller. Nutzer bewegen sich online in ihrem eigenen Ökosystem, folgen den “Gefällt-mir-Hinweisen” ihrer Freunde und setzen auf bequeme Mechanismen zur Selektion von Informationen frei nach dem Motto “Amazon weiß schon, was mich interessiert”.
Auf seiner eigenen Entwicklerkonferenz I/O hatte Google bereits einen Vorgeschmack auf das kommende Android-Update gegeben: Eine Mobiltelefon-Software, die vom Verhalten ihres Nutzers lernt und sich seinen täglichen Routinen anpasst. Egal wo er sich befindet und zu welcher Tageszeit er sein Telefon zückt, ob auf dem Weg zur Arbeit oder kurz vor seiner üblichen Mittagspause, das Handy denkt mit. Relevante Verkehrsinfos assistieren zur Stoßzeit und Vorschläge für Restaurants erleichtern die Wahl des richtigen Lokals. Heute Abend spielt die Lieblingsmannschaft? Natürlich erinnert das Handy seinen Besitzer zur passenden Zeit daran. Google integriert diese Funktionen in die kommenden Versionen seines Android-Betriebssystems.
Kontextualisierung heißt diese Versorgung des Nutzers mit relevanten Informationen zum richtigen Zeitpunkt – und sie könnte die einzige Chance sein, Kunden in Zukunft überhaupt noch online zu erreichen. Die Megatrends in IT und Internet ordnen sich dem Ziel der totalen Verfügbarkeit von Daten unter, während diese riesigen Informationsmengen für den Nutzer schon längst nicht mehr konsumierbar sind. Uns stehen mehr Kommunikationskanäle, mehr Wissen und mehr Konsummöglichkeiten offen als je zuvor, doch das Angebot übertrifft die Nachfrage deutlich. Aufmerksamkeit, die Währung des Internetzeitalters, wird immer wertvoller.
Google geht mit seinem Android-Update lediglich den nächsten logischen Schritt: Eine Aktualisierung, die mehr lokale Ergebnisse in Suchen integriert, hat der Riese aus Mountain View bereits in der ersten Jahreshälfte 2012 in seine Suchmaschine integriert. Inzwischen sind die Funktionen auch in Deutschland angekommen. Der Wert liegt für Webgiganten wie Google auf der Hand: Wer weiß, welche Informationen für einen Nutzer relevant sind, steigert den Wert seiner Anzeigen und Services.
Doch Anzeigen, das täglich Brot von Google, haben mit einem anderen Megatrend zu kämpfen: Das Netz wird mobil. Der Börsengang von Facebook zeigt, dass nur noch wenige zweifelsfrei auf das Geschäft mit der Werbung setzen wollen. Viele Nutzer greifen unterwegs auf das Netzwerk zu und die kleinen Displays der Smartphones lassen keinen Platz für Anzeigen neben den Kerninhalten. Unternehmen, die Kunden im alltäglichen Grundrauschen der Informationsgesellschaft erreichen wollen, müssen sich fragen, wie Nutzer überhaupt auf ihre Internetpräsenzen zu locken und dort zu halten sind.
Kunden sind potenziell immer online und wechseln die Geräte, mit denen sie auf das Internet zugreifen, schnell. Sie werden mit so vielen Informationen versorgt wie nie zuvor und die Zeit, sich mit ihnen zu befassen, ist kurz. Kontextualisierung wird zum Reiter auf den Wellen dieser Trends: Wenn ein Online-Angebot die richtigen Informationen bereits herausfiltern kann, die Darstellung für das aktuelle Gerät optimiert und damit dem Nutzer Arbeit abnimmt, bleibt er. Anzeigen, das primäre Geschäft mit den Nutzerdaten, haben ihren Zenit überschritten. Werte werden anders geschaffen: Durch den Aufbau von Markenreputation im Netz und den Möglichkeiten zur Conversion, die einem Unternehmen offen stehen – vorausgesetzt es gelingt ihnen, durch das richtige Onlineangebot aus einem Besucher einen Käufer zu machen.
Kontextualisierung setzt voraus, dass ausreichend Daten über den Nutzer vorliegen, um in der Lage zu sein, die Inhalte an ihn anzupassen. Im Fall von Google werden diese Daten während der Smartphone-Nutzung generiert, bei der Websuche wird externer Kontext wie Uhrzeit, Sprache, Cookies und Zugriffsort berücksichtigt. Facebook hat ein so riesiges Füllhorn an individuellen Daten, dass vermutlich noch lange nicht erschöpfend ausgewertet werden kann. Doch Unternehmen verfügen in der Regel über eigene Schätze: Kundenprofile. Umfangreiche Datenbanken protokollieren zuverlässig jeden Kundenkontakt, Customer Relationship Management ist das Nervensystem der Sales-Abteilungen. Solch exklusiver, interner Kontext ist eine wertvolle Ressource und kann bei der Anpassung von Informationen eine entscheidende Rolle spielen.
Das intelligente Betriebssystem von Google ist nur ein kleiner Ausblick. In fünf Jahren werden die Apps als wichtigste Funktionsträger unsere Telefone verlassen und der Unterschied zwischen App und mobiler Webseite verschwinden. Dann brauchen wir nicht mehr das passende Programm für jede Gelegenheit: Der Startbildschirm übernimmt diese Rolle und wird für jeden Anlass die richtigen Informationen bereithalten wie Bewertung der Restaurants in der Nähe für das bevorstehende Abendessen, Preisvergleiche während der Suche nach einem neuen Auto und den schnellsten Weg, um einen Stau zu umfahren.
Vielleicht wird sogar das richtige Gesprächsthema für die neue Bekanntschaft an der Bar geliefert. Wer sich direkt mit Produkten auseinandersetzen will, wird individualisierte Informationen erhalten. Unternehmen werden gut daran tun, sich nicht von Nutzern, die sich an diesen Service gewöhnt haben, abhängen zu lassen. Für angestaubte Informationsarchive wird bald kein Platz mehr sein.