Warum Netflix “voll neunziger” ist und was an dem Begriff “digitale Transformation” nervt erklärt heute Godelef Kühl von dem ERP-Spezialisten Godesys.
Wenn Transformation wirklich die tiefgehende Veränderung einer zugrundeliegenden Eigenschaft beschreibt, dann sollten wir uns schnellstmöglich vom Begriff der digitalen Transformation verabschieden. Die “digitale Transformation” erfährt eine ähnliche Überhöhung wie das „Neuland“, wird aber erstaunlicherweise nicht einmal despektierlich geäußert. Dabei transportieren beide Worte nur die Gedankenfehler einer vermeintlichen Elite.
Während sich die digitale Bohème schon im Neuland angekommen fühlt, stöhnt das analoge Management wie vor der Gipfelbesteigung und wähnt sich nach der Einführung der neuen “Cloud”-Lösung schon am Ziel, obgleich sich bei der Digitalisierung doch gar kein endgültiger Zustand fixieren lässt. Wollen wir ernsthaft glauben, dass wir in der aktuellen Erkenntnis-Dynamik nur einen alten Zustand verändern müssen, um in einem Schlaraffenland namens Neuland anzukommen?
Wer erfolgreich digital transformiert hat, wird für alle Zeiten weiter digital evolvieren müssen. Analoge Ruhe war gestern, die digitalen Prozesse und Geschäftsmöglichkeiten verändern unsere Welt tiefgreifender und schneller als jemals zuvor. Egal ob Sie nun Artificial Intelligence oder Machine Learning Potential zutrauen oder nicht, einer Ihrer Wettbewerber wird es herausfinden. Die Business-Welt wird sich immer schneller verändern, neu daran ist lediglich, dass jeder einzelne von uns das für ihn passende Schrittmaß zum Erfolg selbständig bestimmen kann.
Wenn die digitale Transformation als Begriff die tiefgreifende Veränderung eines Unternehmens oder Geschäftsmodells durch den Einsatz digitaler Technologien beschreibt, dann sollte uns die Suche nach erfolgreichen Beispielen als Motivation dienen. Nein, ich werde Ihnen hier nicht die viel zitierten Uber, AirBnB und Tesla nennen. Die sind nämlich alle drei so richtig falsch. Keines dieser drei Unternehmen hat transformiert, die sind alle auf der Basis innovativer Ideen am Reißbrett entstanden.
Und bei Tesla hinkt der Vergleich gleich mehrfach. Das Unternehmen hat zwar das herkömmliche Vertriebsmodell der Automobilbranche ignoriert und setzt anstatt auf Händlernetze auf einen eigenständigen, hochdigitalisierten Produktvertrieb, der auch die Bestellung über das Netz erlaubt, allerdings ist die Automobilproduktion – auch die von Elektromobilen – noch kein wirklich digital skalierbares Geschäftsmodell. Autonomes Fahren und der Trend zu nutzungsabhängigen Erlösmodellen werden diesen Markt absehbar aufbrechen, noch aber fehlt die Erfahrung, ob es wirklich zu der so zahlreich prognostizierten Transformation kommt.
Sie wollen prominente Beispiele für digitale Transformation? Wie wäre es mit Netflix, dem amerikanischen Streaming-Giganten? Die haben mal als Online-Videothek mit dem Versenden von DVD per Post angefangen. Das kommt einem heute so “Nineties” vor. Aber noch 2007 wurden über eine Milliarde DVD’s per Post versendet. Der Rest ist digitale Transformation.
Oder Amazon. Der Buchversand über Internet war die digitale Basis. Er hat die DNA für ein einzigartiges digitales Geschäftsmodell geschaffen. Heute ist Amazon Copycat und Innovator in einem. Kein Unternehmen beherrscht es so gut, Geschäftsmodelle anderer zu kopieren und eigenständig aufzunehmen. Gleichzeitig aber schafft das auch Raum für extrem erfolgreiche neue Ansätze wie zum Beispiel. AWS. Es ist sicherlich nicht vermessen, Amazon als Cloud-Pionier zu bezeichnen. Und Amazon Prime ist geradezu beispielgebend für die digitale Transformation. Wer redet heute noch vom Bertelsmann Buchclub?
Aber als bestes Beispiel empfinde ich persönlich Apple. Steve Jobs hat einem heruntergewirtschafteten Computer-Hersteller erst durch die Transformation des Musikmarktes neues Leben eingehaucht und dann mit dem iPhone unser aller Leben verändert. Der iTunes-Store hat ein neues digitales Vertriebsmodell geschaffen, aber wer das Unternehmen heute anschaut, wird den Verdacht nicht los, dass dort vor allem viel Ruhm vergangener Tage geschickt gepflegt wird. Apple ist der Beweis, dass die digitale Transformation nicht einfach im Neuland endet.
Die digitale Transformation funktioniert nur als digitale Evolution. Dank Apples Geschäftsprinzipien wissen wir es nicht genau, aber vermutlich spürt man auch in Cupertino längst wieder größeren Zwang zur digitalen Transformation – und belegt damit eindrucksvoll, dass selbst absolute finanzielle Übermacht nicht vor digitalen Feinden schützt. Nur die permanente Innovation hilft da raus.
Steve Jobs wusste das nur zu gut: “Stay hungry, stay foolish” beschreibt den Zustand, den Sie im Neuland erreichen müssen.