Dr. Joseph Reger

ist Chief Technology Officer bei Fujitsu Technology Solutions und immer auf der Suche nach vielversprechenden IT-Zukunftstrends.

Fujitsu-CTO zu WikiLeaks: “Bärendienst für die Cloud”

Dr. Joseph Reger, Chief Technology Officer bei Fujitsu Technology Solutions, hat die WikiLeaks-Affäre kommentiert. Dr. Reger bezeichnet das Verhalten der USA als Übersprungshandlung. Amazon habe dem Cloud Computing einen Bärendienst erwiesen.

Nachrichtenmagazine, Tagesschau und Talkshows – sie alle kennen im Moment nur ein Thema: Die Affäre um WikiLeaks und wie Gründer Julian Assange quasi über Nacht zum Staatsfeind Nummer 1 avanciert ist. Das ist erstaunlich. Ist doch die Welt aktuell auch sonst nicht gerade nachrichtenarm. Viel erstaunlicher aber ist die Reaktion der Politik und der Weltöffentlichkeit: Die USA suchen verzweifelt nach einem Grund, Assange vor Gericht zu bringen. Amazon verjagt WikiLeaks von seinen Servern. Visa und Mastercard versperren der Plattform die Finanzkanäle. Und in der öffentlichen Diskussion gilt Assange bereits jetzt als Krimineller.

Dr. Joseph Reger, Bild: Fujitsu
Dr. Joseph Reger, Bild: Fujitsu

Ist Assange wirklich kriminell? Mag schon sein. Niemand wäre jedoch auf die Idee gekommen, die beiden Journalisten in der Watergate-Affäre seinerzeit als Kriminelle anzuklagen – und das, obwohl sich ihre Recherchen ebenfalls auf Informationen aus einem Behördenleck stützten und immerhin einen US-Präsidenten den Kopf kosteten. Stattdessen wurde das Hohelied des investigativen Journalismus gesungen. Heute scheint sich der Bewertungsmaßstab geändert zu haben. Nun gut: Assange ist kein Journalist. Er veröffentlicht Dokumente, ohne sie zu hinterfragen, einzuordnen, zu bewerten. Das mag man kritisieren. Ebenso die Tatsache, dass er sich – angesichts des brisanten Inhalts der Dokumente – ganz unzweifelhaft verantwortungslos verhält. Dennoch: Ist Assange wirklich kriminell? Er hat nur eine Wahrheit veröffentlicht, die andere geschaffen haben.

Ich meine, der Hund liegt woanders begraben. Die reflexartige Drohgebärde der USA und nicht zuletzt der Polit-Druck auf den Online-Giganten Amazon sind eher eine Übersprungshandlung, der letztlich etwas ganz anderes zugrunde liegt: eine gewisse Hilflosigkeit nämlich, und ein unbestimmtes Unbehagen, mit dem Internet könne uns eine Technologie erwachsen sein, der wir nicht gewachsen sind. Nicht zuletzt, weil wir wissen, dass Kriege im Informationszeitalter mit Informationen geführt werden, nicht mit Panzern. Auflösen lässt sich diese Janus-Köpfigkeit des Internets nicht: Alle bahnbrechenden Technologien, die der Mensch hervorgebracht hat, lassen sich zum Guten wie zum Schlechten einsetzen. Und beide Optionen hat der Mensch – jedes Mal – genutzt. Das eigentlich Fatale war in der Regel, dass die Technologie sich schneller entwickelt hat als das ethische Verständnis vom Umgang mit ihr, als ein Verantwortungsbewusstsein in der Gesellschaft und – natürlich – als die Gesetzgebung. Und so bleibt uns nur, dafür zu sorgen, dass der Prozess sich diesmal umkehrt: dass Ethik und Recht schneller am Zuge sind als die dunkle Seite.

Doch gerade die Reaktion von Amazon birgt auch für die Entwicklung des IT-Marktes ein großes Risiko. Der Provider hat die Cloud-Dienste für WikiLeaks – also die Serverleistung, die er der Enthüllungsplattform via Internet zur Verfügung stellte – ganz einfach gekappt. Die Begründung: WikiLeaks habe gegen die Geschäftsbedingungen verstoßen. Schlechte Nachrichten für das neue IT-Paradigma Cloud Computing. Wenn ein Provider seinen Dienst so ohne weiteres einstellen kann, allein auf Basis des Vorwurfs eines Vertragsverstoßes, dann redet er genau jenen Zweiflern das Wort, die Sicherheit und Verfügbarkeit von Cloud Services in Frage stellen.

Mag Amazon seine Anschuldigung auch beweisen können – und mit ein bisschen juristischer Spitzfindigkeit ist das sicher möglich – so bleibt doch ein schaler Nachgeschmack. Wohin soll das führen? Sollen Provider von Cloud Services künftig fortwährend überprüfen, ob einer ihrer Kunden auf ihren Servern einer missliebigen Tätigkeit nachgeht – und immer wieder aufs Neue entscheiden, ob sie gewillt sind, den Service fortzusetzen? Man muss kein Anhänger von WikiLeaks sein, um dies bedenklich zu finden. Und auch der eine oder andere potenzielle Kunde für Cloud-Computing-Dienste wird, so fürchte ich, an dieser Stelle aufgehorcht haben – und sich genau überlegen, ob er sich erlauben kann, seine IT in solch ein Abhängigkeitsverhältnis zu verlagern. Cloud Computing wird einen Imageschaden davontragen. Für die IT ist das die eigentliche Tragik.

Dr. Joseph Reger ist Chief Technology Officer bei Fujitsu Technology Solutions. Weitere Meinungen und Erfahrungen von ihm können Sie im Blog von Fujitsu Deutschland und hier bei silicon.de nachlesen.



  1. Der richtige Zeitpunkt
    Da möchte ich widersprechen Herr Dr. Reger! Aus Sicht eines Unternehmens, das stark auf die Cloud setzt, mag die Schlussfolgerung richtig sein, aber es gibt auch nocht andere Perspektiven. Die (potentiellen) Cloud-Nutzer sollten dankbar sein, denn durch dieses Beispiel werden die eklatanten Abhängigkeiten von einem Cloud-Provider aufgezeigt. Und für “die IT” ist das überhaupt nicht tragisch.

  2. Aus allen Wolken gefallen …
    … sollte eigentlich niemand sein. Es liegt doch auf der Hand, dass man mit der Vergabe nach außen auch wesentliche Kontrollmöglichkeiten verliert und sich den meist übermächtigen Dienstleistern wie Google, Amazon & Co. ausliefert. Wenn selbige dann auch noch US-Unternehmen sind, darf man getrost auch mit Aktivitäten diverser Dienststellen rechnen. Sind dann Konstruktionspläne oder Preisangebote in der Cloud wirklich sicher ?

    Auf Service Level hat man auch keinen Einfluß, und wer versuchen will sich solche garantieren zu lassen und dabei vielleicht auch noch Pönalen in Höhe der zu erwartenden Ausfallkosten zu vereinbaren, der beißt auf Granit …

    Viele meinen Geiz sei geil, aber irgendwie hat alles seinen Preis.

  3. cloud computing? nur mit ressourcen auf die
    ich verzichten kann.
    die verhaltensweise aller beteiligten zeigen überdeutlich die gefahren für jedes unternehmen auf.
    jegliche kontrolle über meine daten und benötigten ressourcen werden von anderen intressen übernommen. hier ist man in allem, abschalten , verändern und zensur einer wie immer gestalteten obrigkeit unterworfen.
    wo bleibt da meine persönliche entscheidung? im zweifelsfal habe ich keine! das übernehmen andere!!!
    internet ja, aber unter meiner kontrolle bei den ressourcen und daten die ich benötige oder zur verfügung stelle.

    mfg
    gerhard

  4. DIE Chance!
    Recht hat der Dr. Rieger, nur eins sieht er nicht richtig: der Fall Wikilieaks ist eine Chance für Kunden und Cloud-Anbieter. Kaum für Amazon & Co., sondern für die Fujitsus, HP’s und IBM’s und andere, die Ihren Kunden vertragliche, klare und international juristisch unangreifbare Konditionen für ihre Daten bieten! Ich hoffe und denke, sie tun das.
    Herr Dr. Rieger hat das nur noch nicht erkannt, aber wenn Wut und Frust erstmal verraucht sind….

    Beste Grüße

    Palef