Kaum ein On-Demand-Service, der in diesem Jahr nicht in “Cloud” umgetauft wurde. Kurz vor Weihnachten wird der Begriff sogar für individuell zusammengestellte Fotobücher verwendet. Ein bedenklicher Trend, sagt Ratmir Timashev, CEO von Veeam Software.
Der Begriff Cloud Computing wurde 2010 sehr strapaziert. Das technische Konzept dahinter ist zweifellos überzeugend und wird sich auch durchsetzen. Doch inzwischen stellt sich die Frage, ob Cloud Computing noch so verstanden wird, wie es aus technischer Sicht definiert wurde. Peter Mell und Tim Grance vom National Institute of Standards and Technology definierten Cloud Computing als bequemen On-Demand-Netzwerkzugriff auf einen gemeinsam nutzbaren Pool konfigurierbarer und mit minimalem Verwaltungsaufwand verfügbarer EDV-Merkmale. Sprich Netzwerke, Server, Speichersysteme, Anwendungen und Dienste.
Nach meinem Verständnis handelt es sich dabei um ein IT-Modell für Unternehmen und Organisationen. Cloud Computing ist ein Hilfsmittel, um IT-Prozesse des Geschäftslebens zu vereinfachen und Kosten zu senken. Die Cloud stellt ein sicheres Datenzentrum für eine Vielzahl von Arbeitsschritten sowie ein hohes Niveau an Datensicherheit und Flexibilität bereit. Angefangen bei der gemeinsamen Bearbeitung von Dokumenten bis hin zu geschäftskritischen Anwendungen.
Doch die metaphorische Bezeichnung Wolke umwabert inzwischen alles, was sich im Internet befindet und nicht genauer spezifiziert ist: Google, Facebook, Amazon, dazu Software, Infrastrukturen, Plattformen und was sonst noch “as-a-Service” angeboten wird. Die Unterscheidung zwischen Public, Private, Community oder Hybrid Cloud hilft da auch nicht weiter. Die Marketing-Abteilungen vieler verbrauchernaher Dienstleister verwenden den Begriff Cloud heute für ihre Web-Angebote.
Gerade jetzt zur Weihnachtszeit haben Fotobücher wieder Hochkonjunktur. Man lädt sich ein einfaches Programm herunter, stellt die Bilder zusammen und schickt das fertige Album als Datei an den Dienstleister. Ein paar Tage später klingelt der Postbote. Wenn nun das “Fotobuch-on-demand” auch online erstellt werden kann und ein solcher Service als Cloud-Angebot vermarktet wird, hat das Einfluss auf die Wahrnehmung des Begriffs in breiteren Schichten der Gesellschaft.
Definieren inzwischen Angebote für Endkunden was unter Cloud Computing zu verstehen ist? Machen diese Dienste eine komplexe Technik für die Gesellschaft zugänglich und damit ein Stück weit verständlicher? Vielleicht entscheidet sich sogar ein CEO für Cloud Computing in der Firma, nachdem Sohnemann ihm die Vorzüge von Online-Dokumenten erläutert oder das im Web entstandene Fotobuch für Oma zeigt. Vielleicht wird dadurch aber auch die viel leistungsfähigere Technologie dahinter banalisiert. Die Erwartungshaltung ist in der Enterprise-IT eine höhere als bei der privaten Nutzung. Bei aller Euphorie für den Begriff der Cloud: Er sollte nicht inflationär für jeden nebulösen Web-Service verwendet werden.
Ratmir Timashev ist President und CEO bei Veeam Software. Weitere Meinungen und Erfahrungen von ihm können Sie künftig hier bei silicon.de nachlesen.