silicon.de-Blogger Heinz Paul Bonn erklärt, wie die Hannoveraner Wutbürger die “Aktion Roter Punkt” gegen den toten Punkt der CeBIT gesetzt haben. Das weltweite Bild des Hannoveraners bedarf offensichtlich einer dringenden Überarbeitung.
Der Hannoveraner an sich ist ja weltweit nicht unbedingt für überbordende Lebensfreude und Spontaneität bekannt. Obwohl – nach den Millionenstädten dürfte die Niedersächsische Landeshauptstadt die Metropole mit den intensivsten weltweiten Kontakten sein. Der Eventkalender der Deutschen Messe AG sorgt schon dafür, dass der Besucherstrom aus anderen Weltgegenden unvermindert sprießt. Zur CeBIT 2012 waren es immerhin 50.000 Menschen aus dem Ausland, die allein oder mit den rund 130 internationalen Wirtschaftsdelegationen den Weg an die Leine gefunden haben. Immerhin jeder sechste der auf dem Messegelände gesichteten 312.000 Besucher war zuvor nach Deutschland eingereist.
Es hätten noch weit mehr Besucher sein können, wenn am 8. März nicht ein toter Punkt gedroht hätte – ein Warnstreik den öffentlichen Nahverkehr lahmgelegt hätte. Nach Schätzungen haben rund 10.000 IT-Interessierte ihre Pläne kurzfristig gecancelt, weil sie mit der unsicheren Anreise nicht einen wertvollen Arbeitstag vertun wollten. Wie so oft trifft ein Streik demnach nicht die streitenden Tarifpartner, sondern Dritte. Die Deutsche Messe AG und ihre Gäste als Kolateralschaden.
Dabei haben Streikende und Zögernde die Rechnung ohne den Hannoveraner gemacht. Schon vor einem knappen halben Jahrhundert hatten die Leinestädter in einem für das damalige Deutschland geradezu revolutionären Akt des Bürgerprotests die Preiserhöhung ihrer Nahverkehrsgesellschaft, der üstra, abgelehnt und vom 7. bis zum 17. Juni 1969 Busse und Bahnen boykottiert. Mit der “Aktion Roter Punkt” machten die Wutbürger ihrem Frust mit positiver Energie Luft und organisierten eine Zehn-Tage-Sponti-Mitfahrgesellschaft. Für einen Tag haben die Hannoveraner dieses Erlebnis jetzt wiederbelebt, um den liebsten Störenfried der Hannoveraner Ruhe, den Messegast, aufs Gelände zu bringen. Mit rotem Punkt gegen den toten Punkt.
Das weltweite Bild des Hannoveraner bedarf offensichtlich einer dringenden Überarbeitung. Dazu trägt auch der Macher der CeBIT, Ernst Raue, bei. Zwar erscheint auch er auf den ersten (und manchmal auch noch auf den zweiten) Blick abwartend und unspontan wie der Hannoveraner im Allgemeinen. Wer ihn aber wie ich über viele Jahre hat begleiten dürfen, erkennt den humorvollen, mitfühlenden, zupackenden Menschenfreund. Unser gemeinsames Leben hat eine ganze Reihe von “roten Mitnahmepunkten”: Wir haben einander mitgenommen auf die Weltreise der CeBIT zur internationalen Marke – in Las Vegas, New York und Sydney. Heute ist die CeBIT weltweit bekannt – die Menschen bewegen sich nicht nur nach Hannover, die CeBIT selbst ist in Bewegung.
Und auf einer weiteren Reise mit dem “roten Mitnahmepunkt” gingen wir den Weg gemeinsam: Die Öffnung der CeBIT für den Mittelstand – sowohl unter den Besuchern als auch unter den Ausstellern. Die heutigen starken Zahlen der Leitmesse für IT gehen auf die Initiative von Ernst Raue zurück, weite Teile der Wirtschaft und der Bevölkerung für Informationstechnik als Ausstellungsstück zu interessieren. Heute, wo Smartphones und Tablets in Jedermanns Hand sind, ist es kaum vorstellbar, dass es dazu einmal einer Initiative gebraucht hat. Ernst Raue hat jedoch früh diesen Trend erkannt und den wichtigen “Mitnahmeeffekt” für die CeBIT genutzt.
Die ständige Erneuerung des Centrums für Bürowirtschaft, Informationstechnologie und Telekommunikation ist das Lebenswerk von Ernst Raue. Die CeBIT 2012 wird seine letzte in der Rolle des Machers und CeBIT Messe-Vorstands gewesen sein. Frank Pörschmann wird als sein Nachfolger andere Herausforderungen zu bewältigen haben. Denn in der Konkurrenz zum Internet als Messestandort hat sich die CeBIT bislang gut behauptet. Wenn die CeBIT ihren Erneuerungswillen beibehält, wird kein toter Punkt ihn und die CeBIT bedrohen. Ein roter Punkt findet sich immer.