Nikolaus Reuter

sieht als Gründer der Etengo (Deutschland) AG im Freelancing einen Megatrend und in flexiblen Einsatzszenarien einen elementaren Baustein künftiger Erwerbsmodelle.

Thema verfehlt: Anti-Werkvertrags-Gesetz

Das „Anti-Werkvertrags-Gesetz“ oder der nach Auffassung des Marktexperten und kritischen Silicon.de-Bloggers Nikolaus Reuter komplett missglückte Vorschlag des „neuen“ § 611a BGB.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat sich zu Recht die Bekämpfung des Missbrauchs von Werkverträgen auf die Fahnen geschrieben. Schaut man sich aber die aktuellen Pressemitteilungen und die beiden Entwürfe eines neuen § 611a BGB (vom 16. November 2015 und vom 17. Februar 2016) an, drängt sich der Verdacht auf, das BMAS wolle den Werkvertrag an sich und nicht nur dessen missbräuchliche Verwendung bekämpfen. Mit seinem Gesetzesvorschlag will das BMAS den Arbeitnehmerbegriff gesetzlich neu definieren. Diese Regelung soll als neuer § 611a BGB in das Kapitel “Dienstvertrag” des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) eingefügt werden. Nimmt man den Koalitionsvertrag der CDU/CSU und SPD vom 16.12.2013 auf Seite 49 beim Wort, kann man dazu nur eines sagen: Thema verfehlt. Richtiger wäre es gewesen, das BMAS hätte eine Regelung in das Kapitel „Werkvertrag“ (§§ 631ff. BGB) aufgenommen und dort festgelegt, wann eine verbotene und sanktionsbewährte missbräuchliche Verwendung eines Werkvertrages gegeben ist. Dass dies nicht geschehen ist, lässt sich nur damit erklären, dass das BMAS die Gunst der Stunde nutzen und einen gesetzlichen Rundumschlag durchführen will. Man kann dies ebenso gut als Bruch des Koalitionsvertrages bewerten. Warum sich die Politik so schwer tut, ist dabei unverständlich. Denn das Problem ist eigentlich einfach zu lösen, wenn man sich zuerst die richtigen Fragen gestellt hat und erst danach eine Lösung sucht.

Lassen Sie uns das einmal kurz durchexerzieren:

Frage 1: Was will man?
Antwort: Es soll der Missbrauch von Werkverträgen bekämpft werden. Lösung: Folglich muss eine Regelung her, die gesetzlich im Werkvertragsrecht angesiedelt sein muss. Dies kann nur ein neuer § 631a und kein § 611a BGB sein.

Frage 2: Wann liegt ein Missbrauch vor?
Antwort: Ein Missbrauch dürfte unter anderem dann vorliegen, wenn durch den Einsatz eines Werkvertrages die Arbeitnehmerschutzrechte sowie einschlägige Tariflöhne oder gar der Mindestlohn unterschritten und eine Absicherung in den sozialen Sicherungssystemen durch die Nichtabführung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ausgehebelt werden. Lösung: Hier bietet es sich an, mit Schwellenwerten zu arbeiten, bei deren Über- oder Unterschreiten eine Schutzbedürftigkeit vermutet werden kann. So könnte man beispielsweise den gesetzlichen Mindestlohn oder im Einzelfall einschlägige Tariflöhne als Untergrenze für eine faire Vergütung eines Werkunternehmers ansehen. Wird diese Untergrenze unterschritten, liegt ein Missbrauch vor. Dies schafft Rechtssicherheit und beugt einem unkalkulierbaren Interpretationsspielraum durch Behörden und Gerichte vor.

Frage 3: Welche Sanktionen sollen für einen missbräuchlichen Werkvertragseinsatz gelten?
Antwort: Da ein missbräuchlicher Einsatz eines Werkvertrages meist dann erfolgt, um Arbeitnehmerschutzrechte zu umgehen, sollte auch genau hier angesetzt werden. Derjenige, der einen wirtschaftlich Abhängigen missbräuchlich unter dem Deckmantel eines Scheinwerkvertrages für sich arbeiten lässt, muss wie ein Arbeitgeber behandelt werden. Lösung: Die Folgen müssen mindestens sein: (1) Zwischen dem Werkbesteller und dem vermeintlichen Werkunternehmer muss ein Arbeitsverhältnis entstehen, wie dies heute schon im Falle einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung auch der Fall ist. (2) Der Werkbesteller bzw. Arbeitgeber muss die Differenz zum Mindestlohn oder zu den einschlägigen Tariflöhnen sowie die darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen. Daneben sind Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten möglich.

Nur auf diese Weise kann einem Missbrauch begegnet werden. Würde man schwächere Sanktionen ansetzen, fehlt die abschreckende Wirkung und Werkbesteller würden sich nach wie vor eingeladen fühlen, Werkverträge dort einzusetzen wo eigentlich Arbeitsverträge hergehören.

Diesem Ansatz wird der vom BMAS in den Ring geworfene § 611a BGB nicht gerecht; und zwar unabhängig davon, ob wir von der Fassung vom 16. November 2015 oder vom 17. Februar 2016 sprechen. Das BMAS bemüht sich vergeblich, die Kriterien für die Abgrenzung eines Arbeitnehmers vom Solo-Selbstständigen beziehungsweise Freelancer in eine gesetzliche Regelung zu gießen. Die Arbeitnehmereigenschaft ist zu komplex und entwickelt sich zu dynamisch als das sie durch altertümliche Merkmale wie zum Beispiel der Eingliederung in die Arbeitsorganisation rechtssicher festgestellt werden kann. Mögen Arbeitnehmer im Industriezeitalter noch zu Scharen an der vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Hobelbank oder am Schmelzofen gearbeitet haben, so arbeitet man heute im Zeitalter der Industrie 4.0 und der immer zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt ganz anders. Ob ein Beschäftigter mit der Stammbelegschaft des Auftraggebers projektbezogen zusammenarbeitet ist heutzutage ein ebenso untaugliches Abgrenzungsmerkmal wie die Frage, ob der Beschäftigte eigene Arbeitsmittel nutzt oder diese zur Verfügung gestellt bekommt. Meist lassen es Auftraggeber aus Datenschutz- und Datensicherheitsgründen gar nicht zu, dass zum Beispiel ein IT-Entwickler eigene Hardware einsetzt.

Noch eine Lösung “on top”

Richtigerweise muss auch für die Abgrenzung eines Arbeitnehmers vom Solo-Selbstständigen/Freelancer auf klare und relevante Kriterien abgestellt werden, die keinen Interpretationsspielraum zulassen. Hier bietet sich die wirtschaftliche (Un-)Abhängigkeit des Betroffenen an. Ähnlich wie bei den sozialversicherungsrechtlichen Beitragsbemessungsgrenzen oder der Versicherungspflichtgrenze im Krankenversicherungsrecht, sollte auch hier eine Vergütungsgrenze festgelegt werden, bei deren Überschreiten widerlegbar von einem freien Dienstverhältnis ausgegangen werden kann. Diese Vergütungsgrenze koppelt man noch mit dem Nachweis einer privaten Altersversorgung, die der Freiberufler als Beweis für seine Absicherung im Alter führen muss. Natürlich soll es sich bei diesen Merkmalen nur um eine widerlegbare Vermutung für das Vorliegen des Freiberufler-Status handeln, sodass man auch nach wie vor trotz Überschreitens dieser Grenze Festangestellter sein kann. Freiberuflern käme diese widerlegbare Vermutung aber sehr entgegen, da sie als Beweis des ersten Anscheins ein freies Dienstverhältnis zunächst fingiert.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass das BMAS recht “freihändig” an einer neuralgischen Realität der deutschen Wirtschaft versucht “herumzuoperieren”. Man wollte eigentlich Gutes, nämlich den Missbrauch von Werkverträgen eindämmen. Herausgekommen ist bis dato jedoch nur ein handwerklich wie inhaltlich missglückter Versuch, der potenziell im Bereich der hochqualifizierten freiberuflich tätigen Experten – vom Honorararzt, über den freiberuflichen IT-Experten bis zum solo-selbstständigen Ingenieur – einen Kollateralschaden von nicht abzuschätzendem Ausmaß für den Wirtschaftsstandort Deutschland riskiert. Man darf den politischen Entscheidern wünschen, dass Sie schnell zur Vernunft kommen.