Mit Transparenz im Social Business ist es ein bisschen so wie mit Dessous, schreibt silicon.de-Blogger Stefan Pfeiffer in seinem aktuellen Beitrag. Es gehe darum das Interessante zu enthüllen, aber auch das Private zu verdecken. Entscheidend sei unter anderem, dass es keine bösen Überraschungen gibt, wenn das Dessous einmal komplett fällt.
Transparenz ist eines der großen, positiv besetzten Versprechen von Social Business. Wissen wird konserviert, Fakten offensichtlich. Probleme werden sichtbar und können gelöst werden. Transparenz – so das mehr oder weniger ausgesprochene Versprechen – wendet viele Dinge zum Guten. Auf einer Tagung an der Universität St. Gallen zur ‘Next Corporate Communication’ haben wir in der Arbeitsgruppe einmal das Internet als große Transparenzmaschine bezeichnet.
Doch machen wir uns nichts vor. Es gibt durchaus auch die, die Transparenz nicht wollen. Nehmen wir das Thema Customer Relationship Management, oder heute die Iteration Social CRM: Mir fällt sofort der Vertriebler ein, der oft ein Netzwerker, aber der durchaus nicht unbedingt transparent sein will. Schon immer hat er seine Kontakte nicht unbedingt ins unternehmenseigene CRM-System eingepflegt, sondern stattdessen die Visitenkarten “privat” gesammelt. Es sind ja “seine” Kontakte, seine Beziehungen, von denen er lebt, nicht die des Unternehmens – zumindest im Verständnis manches Vertriebsmitarbeiters. Das Marketing wundert sich, warum so wenig qualifizierte Kontakte in der CRM-Datenbank sind, aber… Von wegen Transparenz. Customer Relationship Management scheitert meist nicht an der Technik, sondern an den Vertriebsmitarbeitern und fehlender Transparenz.
Und welch guter Vertriebler legt wirklich offen, welche Deals er in der Pipeline hat? Wenn er sie offen legt, wird entsprechend nachgefragt, wird kontrolliert und getrackt. Genau deshalb wird der Mantel der Intransparenz über manchen Deal gebreitet. Und Überraschung, wenn der Deal dann kommt. Blue Birds…
Natürlich kennen wir auch den Mitarbeiter, der zu recht oder zu unrecht Angst um seinen Job hat und deshalb sein Wissen hortet. Und die berühmten Betriebsräte, die Angst haben um die Arbeitnehmer und deshalb ungemein Wert legend auf Data Privacy. Die Leistungen der Arbeitnehmer sollen nicht individuell transparent werden. Oft sehe ich das ungläubige Gesicht gerade meiner amerikanischen Kollegen vor mir, wenn sie vom deutschen Workers Council hören. Um es explizit zu schreiben: Der Schutz der Arbeitnehmer ist ein wichtiges Gut. Aber manche Exzesse müssen meiner Meinung nach nicht sein.
Und vergessen wir nicht das Management, die Geschäftsführung. Leadership 2.0? Vor einigen Wochen habe ich eine Vorstandspräsentation zum Thema Social Business gehalten und dabei erzählt, dass Ginni Rometti ihre Botschaft mit der Verkündung der Quartalsergebnisse nicht mehr per E-Mail versendet. Stattdessen spricht sie in ihrem Videoblog darüber. Diese Beiträge, die Teil einer Community namens Think together (nomen est omen) sind, werden dann von IBM’ern kommentiert und diskutiert. Kommentar des Vorstandsvorsitzenden: “Ich will gar nicht, dass meine Mitarbeiter meine Botschaft kommentieren.” Wenn das Management eine Command-and-Control-Mentalität bevorzugt, dann favorisiert es Transparenz nur zur Leistungskontrolle, sicher aber nicht zur transparenten Diskussion im Unternehmen. Der Fisch stinkt vom… Was aber Transparenz in einem vernetzten Unternehmen bewirken kann, zeigt beispielsweise dieses Video. Und dass Transparenz in durchaus sensiblen Gebieten wie dem Gesundheitswesen manchmal Leben retten kann, zeigt das Childrens Hospital of Boston. Natürlich ist dafür Umdenken notwendig.
Und manche Kundendienst-Abteilung mag es sicher nicht, dass Kundenbeschwerden heute öffentlich im Netz gepostet, oft kommentiert und verbreitet werden. Früher hat sich ein Kunde per Telefon im Call Center beschwert. Das Problem wurde bearbeitet (oder oft auch nicht oder nur sehr langsam) und gut war es. Heute steht im Netz, dass der Kunde mit dem Service der Firma XYZ nicht zufrieden ist. Andere lesen es. Das Netz vergisst nicht. Der Geist kann nicht mehr in die Flasche zurück gesperrt werden. Na ja, wie ernst Unternehmen diese Transparenz nehmen, darüber kann man unterschiedlicher Meinung sein. Gerade Telekommunikationsprovider scheinen da ja eher resistent gegen Beschwerden, wie ich aktuell feststellen musste. Von wegen XYZ_hilft…
Trotz solcher Ignoranz: Der Kunde hat durch das Netz und die damit verbundene Transparenz an Macht gewonnen. Ja, auch das kann negative Auswüchse haben, wenn Hotel- oder Restaurantbesucher die Anbieter mit negativen Kritiken auf entsprechenden Portalen erpressen wollen. Das sind aber aus meiner Sicht eher vereinzelte Auswüchse denn ein wirklich ernsthaftes Problem. Transparente, offene Diskussion mit Kunden und Partnern kann durchaus positiven Einfluss haben. Cisco hat Kunden-Communities eingerichtet, in denen offen technische Probleme und deren Lösungen diskutiert und dokumentiert werden. Laut Hersteller spart man dadurch 120 Millionen Dollar jährlich. Wir bei IBM haben mit IBM developerworks ähnliche Erfahrungen. Durch diese Entwickler-Community sparen wir nach eigenen Angaben rund 100 Millionen Dollar Kosten für Call Center und Support.
Tja, und dann gibt es noch die Transparenz, die Personalabteilungen bei Neueinstellungen potentiell zugute kommt. Heute kann der Personaler halt einfach mal im Netz recherchieren, wie sich die Bewerberin oder der Bewerber benimmt. Halbseidene Fotos von irgendwelchen Feten? Blanke Haut oder Alkoholexzesse. Und tschüss, Bewerbung. Selbstverständlich machen so was Personalabteilungen nicht. Und kein Jugendlicher ist so blöde, unangemessene Fotos offen ins Netz zu stellen. Wir sind ja alle mit den Datenschutzeinstellungen von Facebook & Co. bestens vertraut…
Die Widerstände sind da. Viele kann man sogar menschlich verstehen, einige sind berechtigt, viele Mumpitz. Aber wir müssen uns mit den Widerständen auseinandersetzen, sie wo möglich entkräften und auf berechtigte Einwände Rücksicht nehmen. Natürlich müssen wir das Hirn einschalten, bewerten und diskutieren, wo wir wie transparent sein können und wollen. Nehmen wir es positiv und setzen uns bitte konstruktiv mit dem Thema auseinander. Wie viel Transparenz macht an welcher Stelle Sinn? Transparenz heißt nicht, alles komplett “naggisch” machen. An der ein oder anderen Stelle kann ein “Dessous” durchaus reiz- und sinnvoll sein: das Interessante enthüllen, aber auch das Private verdecken. Solange also nicht das verdeckt wird, was relevant ist, solange es keine böse Überraschungen gibt, wenn das Dessous komplett fällt, ist Transparenz nicht nur begrüssenswert, sondern sogar unverzichtbar.
Transparenz ist im sozialen Zeitalter nicht aufzuhalten. Man kann versuchen, die Entwicklung zu bremsen. Wie lange, das ist die Frage. Blockieren kann man Transparenz heute in der Kommunikation mit dem Kunden ebensowenig wie im eigenen Unternehmen. Die Zeiten ändern sich. Wir sind im sozialen Zeitalter. Statt also blind (beinahe hätte ich blond geschrieben), sollten die Verantwortlichen konstruktiv gestalten und dort Datenschutzriegel vorschieben, wo es wirklich notwendig ist, und dort Transparenz erlauben, wo Kunden, Unternehmen und Mitarbeiter nachweislich etwas davon haben.
Netter Vergleich mit den Dessous. Nur bleibt die Frage, was für böse Überraschungen es geben sollte, wenn die Dessous komplett fallen? Man kann zwar mit einem Push-Up ein wenig tricksen oder mit Formwäsche aber “böse” wird das nicht… ;-)
Was die Transparenz betrifft, so ist das Bild mit dem Fisch das treffende. Wenn’s von oben her nicht funktioniert und die unten sich nur kontrolliert fühlen, dann wird das nichts. Das ist eine Politik, die das ganze Unternehmen durchdringen muss.