Traditionelle Banken sehen sich momentan mit einer von Disruption geprägten Phase konfrontiert. Diese wird angetrieben von einem sich stetig weiter entwickelnden Kundenstamm und der Nachfrage nach neuen Dienstleistungen sowie neuen Technologien, die diese Services überhaupt erst ermöglichen.
Die sich schnell entwickelnden Märkte für Finanzdienstleistungen werden momentan hauptsächlich von aufstrebenden und technologisch versierten FinTech-Unternehmen bedient – und dabei geht es oftmals um große Summen an Risikokapital. Wie etablierte Firmen auf die Herausforderungen der FinTechs reagieren, könnte entscheidend für ihren zukünftigen Erfolg – oder gar ihr Überleben – sein.
Im vergangenen Jahrhundert haben die Banken viel Ballast angesammelt. Sie werden stark reguliert und verfügen oftmals über eine veraltete IT-Infrastruktur. Dieser wiederum fehlt es an Flexibilität, um auf veränderte Marktbedingungen reagieren zu können. Kunden legen zudem immer weniger Wert auf ein umfassendes Netzwerk bestehend aus Filialen. Laut einer Studie von The Financial Brand von 2019 sind 38 Prozent der Verbraucher der Meinung, dass persönliche Interaktionen nicht mehr nötig sind. 37 Prozent bevorzugen immer noch das persönliche Bankgeschäft.
Eine noch größere Herausforderung ist die Bankenkultur. Sie ist traditionsgebunden und konzentriert sich im Wesentlichen immer noch auf die Verwaltung von Vermögenswerten, Kreditvergabe, Zinsspannen und die Einhaltung von Vorschriften – nicht aber auf den Kundenservice und die Kommunikationskanäle. Dieser Fokus verändert sich. Laut einer 2017 von Infosys und Efma durchgeführten Umfrage unter über 300 Bankern (über PR Newswire), geben Retailbanken mehr für Innovationen in den Bereichen Kundenerfahrung und -kanäle (jeweils 78 Prozent der Befragten), Produkte (67 Prozent), Prozessverbesserung (64 Prozent) und Marketing (57 Prozent) aus. Gemäß einer Studie von McKinsey aus dem Jahr 2017 erlauben zwei Drittel der weltweit führenden Banken ihren Kunden die Eröffnung von Sparkonten über mobile Apps. Nach Daten von Finalta (über McKinsey) stieg die Zahl der aktiven mobilen Nutzer bei US-Banken zwischen 2013 und 2016 um etwa 25 Prozent pro Jahr.
Doch in Sachen Wandel sind die FinTechs im klaren Vorteil. Ihre Infrastruktur ist frisch; denn sie ist in er Regel von Grund auf neu aufgebaut und setzt auf die Vorteile von Cloud Computing sowie Erfahrungsfaktoren wie Mobilität und sprachgesteuerte Benutzeroberflächen. Sie konzentrieren sich typischerweise auf einzelne Funktionen, die sehr lukrativ sein können, wie z.B. Zahlungen, digitale Brieftaschen und Kredite. Oder auf Dienste, die die meisten Banken nicht anbieten, wie etwa Budgetierungs-Apps. Sie sind relativ klein und daher flexibler als etablierte Anbieter. Zudem ist ihre Unternehmenskultur oft mehr auf die Kunden und die Erfüllung ihrer Bedürfnisse ausgerichtet als auf die Vermögensverwaltung und die Einhaltung von Vorschriften.
Wie können traditionelle Banken gegen den Wettbewerb offensiver, schneller und kapitalkräftiger Startups antreten? Die Antwort ist vielleicht, überhaupt nicht zu konkurrieren. Um in diesem neuen Umfeld zu bestehen, sollten Banken auf ein plattformbasiertes Geschäftsmodell setzen. In diesem Modell kann die Bank sowohl die finanzielle als auch die technologische Grundlage für ein erfolgreiches Ökosystem werden, indem sie Dienstleistungen zusammenfasst, die den Kunden die geforderten positiven Erfahrungen bieten. Das Plattformmodell ist aus mehreren Gründen sinnvoll.
Trotz des Schattens, den die Finanzkrise von 2008 über die Großbanken warf, verfügen sie immer noch über einen großen Kundenstamm und Asset-Marktanteile, die selbst die erfolgreichsten FinTechs übertreffen sollten. Für viele Verbraucher sind sie immer noch der logische Ausgangspunkt bei neuen finanziellen Bedürfnissen. Tatsächlich betrachten fast 80 Prozent der 1.250 Befragten einer Umfrage von Infosys im Jahr 2019 die Bank der Zukunft als einen Marktplatz, der alle finanziellen Anforderungen abdeckt. Das Plattformmodell würde es den Banken ermöglichen, diese Vision zu verwirklichen. Sie könnten weiterhin ein einheitliches Bankerlebnis bieten, das die menschlichen Berührungspunkte umfasst, die FinTechs nicht immer bieten.
Aus IT-Sicht bilden offene Application Programming Interfaces (APIs) eine entscheidende Basistechnologie. APIs sind nicht neu. Sie wurden bereits vor der Jahrhundertwende eingesetzt, um Anwendungen miteinander zu vernetzen. Bis vor kurzem wurden sie jedoch in der Regel einzeln für einen bestimmten Bedarf entwickelt. Offene Banking-APIs sind in der Regel standardbasiert und so konzipiert, dass sie es FinTech Entwicklern leicht machen, sie in die IT-Systeme von Großbanken zu integrieren. Auch wenn diese Systeme auf Altsystem-Technologie basieren.
Nicht-technische Bankiers sollten sich dieser Verbindungen bewusst sein, da sie den Austausch von Finanzdaten der Kunden ermöglichen. Daher erfordern sie Mechanismen, die sicherstellen, dass die Verbraucher die Kontrolle über ihre persönlichen Finanzdaten behalten können.
Um auf das Gesamtbild zurückzukommen: Es ist eindeutig, dass FinTechs sich behaupten werden, weil sie eine primäre Quelle der notwendigen Technologie sind, um die Dienstleistungen zu liefern, die die Kunden heute verlangen. Aber Banken sollten sie nicht als Konkurrenten wahrnehmen.
Vielmehr können Banken durch ein plattformbasiertes Geschäftsmodell und Kooperation mit der technologischen Kompetenz von FinTechs profitieren. Dies würde es den Banken ermöglichen, ihre Position als eine einzige Quelle für Finanzdienstleistungen zu modernisieren und zu halten. Gleichzeitig kann den FinTechs ein Kundenstamm zur Verfügung gestellt werden, der sonst nur schwer und kostspielig zu gewinnen wäre. Es ist eine Win-Win-Situation.