Künstliche Intelligenz (KI) hat das Potenzial, die Beschaffung grundlegend zu verändern. Franck Lheureux beleuchtet Voraussetzungen und aktuelle Optionen für den erfolgreichen Einsatz von KI-Applikationen im Einkauf.
Seit Jahren wird über KI und ihren möglichen Beitrag zur Transformation in der Beschaffung heiß diskutiert. Erfolgreiche Anwendungsbeispiele sind jedoch rar. Sehen wir wieder einen künstlich generierten Hype? Die Antwort laut ganz klar nein. Warum aber war dann der Beitrag der KI zur Wertschöpfung bisher so gering?
Ich sehe vor allem zwei Gründe. Zunächst hat der Innovationsdruck bei manchen Technologieanbietern dazu geführt, sich sehr weit aus dem Fenster zu lehnen, um potenzielle Kunden und Analysten zu beeindrucken. Abzuwarten, bis man tatsächlich in der Lage ist zu liefern, könnte einen wie einen Nachzügler aussehen lassen. Das hat zu unrealistischen Erwartungen in den Beschaffungsabteilungen geführt. Real existierende Erfolgsgeschichten erscheinen da im Vergleich zum produzierten Hype eher langweilig.
Der zweite Grund besteht darin, dass der Fokus nur auf innovative KI-Anwendungen gelegt wurde – also auf die neuesten Algorithmen und auf beeindruckende Anwendungsbeispiele. Wichtige Grundlagen, die zwar nicht spektakulär, aber dennoch entscheidend für Erfolg oder Misserfolg sind, wurden dagegen vernachlässigt. Dazu gehören insbesondere die zugrundeliegenden Daten, mit denen die KI-Algorithmen gefüttert werden. Auch für die Künstliche Intelligenz gilt nämlich der altbekannte, englische Spruch „garbage in, garbage out“. Eine funktionierende KI braucht sowohl große Datenmengen als auch eine relativ hohe Datenqualität. Ohne solides Fundament versagen die meisten Anwendungen – mit enttäuschendem Ausgang.
Fakt ist: Die verschiedenen Teilbereiche der KI – maschinelles Lernen, Verarbeitung natürlicher Sprache und Deep Learning – werden in der fortlaufenden Transformation der Beschaffung eine Hauptrolle spielen. Sie werden insbesondere den gesamten Beschaffungsbereich smarter machen. Zunächst werden sie für mehr Automatisierung sorgen. Das wiederum schafft freie Kapazitäten für ein strategischeres Arbeiten. Zu den relevanten Anwendungen gehören Lieferanten-Chatbots für einen automatisierten Support, eine bessere Führung der Nutzer durch den Beschaffungsprozess, die fortschreitende Automatisierung der Zuordnung von Ausgaben zu bestimmten Kostenblöcken und eine bessere Erfassung von Rechnungsdaten.
KI kann zu intelligenteren Entscheidungen führen, weil sie aus großen Datenmengen neue Erkenntnisse zutage fördert und diese genau dann bereitstellt, wenn sie gebraucht werden. Zu den wichtigen Anwendungen zählen die Identifikation von Einsparpotenzialen, von Betrugsversuchen und Risiken in der Supply Chain. Digitale Assistenten, seien sie sprach- oder textgesteuert, machen die gewonnenen Erkenntnisse noch leichter zugänglich. Beispielsweise kann der Assistent schnell aufzeigen, ob bei einem bestimmten Lieferanten oder in einer Region Risiken auftreten und mit welcher Wahrscheinlichkeit sich ein bestimmtes Ereignis negativ auf die Supply Chain auswirkt. Die Liste der Anwendungen wird laufend länger.
Was also sollten Beschaffungs- und Supply Chain Manager tun, um die Potenziale der KI richtig zu nutzen? Sie müssen zuallererst hinter die Fassade schauen und auswerten, welche Lösungen verfügbar sind und ihren Anforderungen und Prioritäten entsprechen. Ebenso wichtig ist es zu hinterfragen, welche Lösungen in ihre Roadmap und in ihren Zeitplan passen. Denn am Ende geht es darum, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. KI ist nur ein Mittel dazu. Sie steht im Wettbewerb mit anderen Lösungen.
In jedem Fall lohnt es sich, das richtige Fundament für KI-Anwendungen zu legen.
Im Folgenden eine erste grobe Checkliste:
• Sind überhaupt ausreichend Daten verfügbar, um die KI „Engines“ zu füttern?
• Basiert eine Source-to-Pay Suite auf einem einheitlichen Datenmodell, so dass alle Aktivitäten ausgewertet werden können und neu eingetragene Daten wirklich sauber sind?
Beispielsweise sollten sich Beschaffungsverantwortliche fragen: Haben wir für jeden Lieferanten nur einen einzigen Datensatz, der eine 360-Grad-Sicht auf die Lieferantenaktivitäten bietet und Beschaffungskostenanalyse, Lieferantenmanagement, Sourcing, sämtliche Verträge sowie alle Bestell- und Zahlungsvorgänge umfasst? Selbst wenn Sie heute Source-to-Pay noch nicht vollumfänglich abdecken, wird es wahrscheinlich irgendwann so sein. Daher empfiehlt es sich, den Ansatz und die Funktionalitäten einer vollständigen Suite im Blick zu behalten.
• Kann die Lösung tatsächlich die vorhandene Datenqualität verbessern, zum Beispiel indem sie als Lieferanten- oder Artikelstamm dient und damit Probleme der Back-End-Systeme behebt?
• Sind Back-End-Systeme und Systeme Dritter robust mit vorhandenen Lösungen integriert?
Ein Ansatz, der all dies berücksichtigt, legt ein solides Fundament für eine effektive, langfristige KI-Unterstützung. Denn wie im „echten Leben“ kommt es beim Thema KI nicht auf die Optik, sondern auf die wahren Werte an.