Leere Frabrikhallen, in denen kein Mensch mehr Platz hat und Arbeit findet? Dieses Schreckens-Szenario von Industrie 4.0 will Winfried Holz, CEO von Atos in seinem aktuellen Blog für silicon.de bei Seite wischen.
Das Thema Industrie 4.0 begleitet uns nun schon seit einer geraumen Zeit. Gemeint ist damit im engeren Sinne die Digitalisierung der industriellen Produktionsprozesse, im weiteren Sinne ist Industrie 4.0 in Deutschland ein Synonym für die gesamte digitale Transformation der Wirtschaft.
Nun bekommt die Diskussion eine neue Richtung: Nachdem eine Zeit lang die Fragen im Vordergrund standen, wie sich die Digitalisierung auf die Geschäftsmodelle auswirken wird und welche Effizienzvorteile dabei durch den Einsatz digitaler Instrumente zu erwarten sind, befasst sich der Diskurs in letzter Zeit intensiver mit den Auswirkungen auf die Arbeitsplätze und die Mitarbeiter – speziell unter dem Aspekt der Aus- und Fortbildung.
Genau an dieser Stelle offenbart sich ein Fehler in der öffentlichen Diskussion: Häufig wird die Darstellung der digitalen Transformation auf Fragen der Zusammenarbeit zwischen Menschen und intelligenten Maschinen reduziert. Überschriften wie “Kollege Maschine” oder die Darstellung eines Händedrucks zwischen Mensch und Roboter bestätigen und fördern diese Vorstellung. Doch das trifft nicht den Kern der Sache: Die Digitalisierung der Wirtschaft wird keine “Cyborgs” – also futuristische Mensch-Maschinen-Wesen – erschaffen. Das gehört in das Reich der Science Fiction.
Zwar wird es in den Fabriken Personen geben, die mit sich selbst organisierenden Geräten zusammenarbeiten. Die Digitalisierung wird aber nicht ausschließlich und nicht in erster Linie diese Menschen betreffen. Stattdessen werden Trends wie die permanente Vernetzung sowie die schnelle Verfügbarkeit und Auswertung großer Datenmengen deutliche Veränderungen für eine ganze Schicht von Jobs haben, nämlich den “mittleren Funktionen”.
Wegfall von “mittleren” Funktionen
Ein Effekt der Digitalisierung wird die Automatisierung von komplexen Standardarbeiten sein, wie der Münchner Kreis bereits in seiner Zukunftsstudie prognostiziert hatte: Je intelligenter die Software wird, desto besser kann sie nicht nur Entscheidungen vorbereiten, sondern diese auch gleich selbst treffen. Das Ergebnis: Tätigkeiten, die momentan noch zwingend einen Menschen vorsehen, werden künftig automatisch ablaufen. Hierzu zählen typische “Sachbearbeiter”-Funktionen, bei denen Entscheidungen auf Basis einer gewissen Anzahl von unterschiedlich kombinierbaren Faktoren gefällt werden.
Es handelt sich also um “mittlere” Funktionen, wie die Bearbeitung von Anträgen in der öffentlichen Verwaltung und der privaten Wirtschaft oder auch die Anwendungsentwicklung in der IT. Diese Aufgaben erfordern einerseits nicht die physische Präsenz, wie es bei einfachen Tätigkeiten, beispielsweise Lieferservices, der Fall ist.
Und andererseits legen sie nicht den Erfahrungsschatz und das komplexe Wissen der “gehobenen” Tätigkeiten zu Grunde, wie es etwa bei der Produktentwicklung oder der Unternehmensberatung nötig ist.
Wissen teilen
Ein zweiter Trend ist die höhere Transparenz der Arbeit, die durch den Einsatz kollaborativer Arbeitsinstrumente entsteht. In diesem Bereich hat Atos durch das Zero Email-Projekt bereits wegweisende Erfahrungen gesammelt: Das Ziel ist es, durch soziale Kollaboration den Wissensaustausch innerhalb von Organisationen zu intensivieren beziehungsweise überhaupt erst zu ermöglichen.
Durch das Aufbrechen von Wissenssilos beschleunigen sich Arbeitsabläufe und Innovationsprozesse. Kritisiert wird an dieser Stelle oft, dass das Teilen von Wissen den Mitarbeitern zum Nachteil gereicht und sie ersetzbar macht.
Dem halte ich entgegen: Wissen teilen ist ein Prozess von Geben und Nehmen. Denn nicht nur ich offenbare meine Fähigkeiten und Erkenntnisse, sondern alle anderen Kollegen tun es auch. Damit erweitern alle ihre Wissens- und Erfahrungsbasis.
Wissen zu teilen ist also kein Nach- sondern ein großer Vorteil für den Einzelnen. Möglichst komplexes Wissen und Erfahrung sind – wie wir oben gesehen haben – wichtige Voraussetzungen für Arbeitsplätze in der digitalisierten Welt.
Es ist also an der Zeit, sich die Frage zu stellen, wie sich die möglichen negativen Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt mit den positiven kompensieren lassen – in jedem Fall sehr viel sinnvoller als über Science Fiction zu diskutieren und Ängste zu schüren.