Für viele IT-Mitarbeiter in den meisten Unternehmen gehören ERP-Systeme schon zum Inventar. Doch der Faktor Mensch wurde dabei in den vergangenen Jahren nach Gartners Meinung sehr vernachlässigt. silicon.de-Blogger Christian Hestermann beschäftigt sich mit der nächsten Generation von ERP.
ERP-Systeme kosten viel Geld, aber es ist nicht immer klar, welchen Nutzen sie über das alltägliche “keeping the lights on” hinaus erbringen. Die meisten von ihnen dienen als großer (und weitgehend unverzichtbarer) Datenspeicher, und viele sind ein Hilfsmittel, einmal definierte und eingeführte Prozesse durchzusetzen. Bei ersterem ist es oft nicht einfach, aus den enthaltenen Daten Informationen oder gar “Wissen” zu generieren; bei zweiterem führt die anscheinend unvermeidliche Komplexität der ERP-Systeme dazu, die dringend erforderliche Flexibilität bei neuen oder geänderten Prozessen zu verhindern.
Der Faktor Mensch wurde in den vergangenen Jahren nach Gartners Meinung sehr vernachlässigt. Deshalb haben wir die nächste Generation (nach ERP und ERP II) nicht einfach mit der Zahl “3” versehen, sondern die neue Generation als “User-Centric ERP” bezeichnet. Wichtig ist dabei, dass Daten und Prozesse nicht obsolet werden. Vielmehr rücken die Anwender mehr in den Vordergrund und werden gleichberechtigte Parteien.
Anwender ist dabei ein zu homogener Begriff. Er umfasst zum einen die Personen, die alltäglich mit dem ERP-System in Berührung kommen, sei es in der Buchhaltung, der Auftragsannahme oder im Bereich der Logistik. Dann gibt es die eher gelegentlichen Anwender, die z.B. in einem übergeordneten Prozess eine Genehmigung oder Freigabe erteilen müssen; diese nutzen oft gar nicht das ERP-System an sich, sondern z.B. eine vorgeschaltete Workflow-Lösung. Mit den vielfältigen Initiativen im Bereich Reporting und Business Intelligence können Personen in den Genuss von Auswertungen kommen, die oft gar nicht wissen, was diese mit dem ERP-System an sich zu tun haben. Personen in Leitungsfunktionen, die mit einem der modischen “Dashboards” arbeiten, gehören ebenfalls zu diesem Personenkreis.
Man glaubt es kaum, aber neben all diesen Personen gibt es viele weitere MitarbeiterInnen, die bisher gar nichts mit dem meist teuren ERP-System (oder einer der anderen Geschäftsanwendungen) zu tun haben. Die Überlegung, wie man sie bei ihrer Arbeit eventuell durch das ERP-System besser unterstützen könnte, steht bereits im Mittelpunkt einer “User-Centric”-ERP-Strategie. Dazu gehören Aufgaben wie die zunehmende Vereinfachung des Zugangs und der Benutzung der relevanten Teile des Systems, um z.B. Doppeldatenerfassung in der Logistik zu vermeiden. Doch auch die Transformation des Unternehmens in ein aufgrund von Fakten gesteuertes (“fact-based business”) sowie die Innovation im Bereich der Prozesse, also die Modernisierung der bisherigen Schwerpunkte Daten und Prozesse zum Beispiel durch einen “Pace-Layering”-Ansatz (die Unterteilung und jeweilige Behandlung von Systemen anhand ihrer unterschiedlichen Lebensdauer; siehe z.B. “How to Use Pace Layering to Develop a Modern Applikation Strategy“), sollten dabei nicht vernachlässigt werden.
Wenn man nun noch das nicht geringe Problem in den Griff bekommt, die Lizenzmodelle für diese breitere Nutzung mit dem Hausanbieter zu lösen, dann steht einer besseren Balance zwischen Daten, Prozessen und Benutzern nichts mehr im Wege.